Deftig aus dem Leben erzählt

■ Wenn Leher das Unaussprechliche beschreiben, bekommen sie in Bayern Ethikprobleme in der Schule und werden belangt

München (taz) – Wenn Lehrer zuviel schreiben, werden sie zensiert. In Bayern erledigt das Kultusministerium solche Grobheiten. Eine Woche vor Weihnachten kam der blaue Brief an den Oberstudienrat Dieter Henning, jetzt wurde er öffentlich: Aufgrund obszöner und blasphemischer Stellen in seinem Roman „Püppchen, Püppchen“ darf der Nebenerwerbsschriftsteller im neuen Schuljahr keinen Ethikunterricht mehr ab der 9. Klasse erteilen.

Ein Literaturskandal, der selbst die SPD-Landtagsfraktion zum Schäumen brachte: „Die Engstirnigkeit der Kultusbürokratie ist durch nichts zu begründen. Das Kultusministerium will einen Schulfrieden schützen, der niemals gefährdet war.“

Dem angeblich jugendgefährdenden Autor, der noch Deutsch, Geschichte und Sozialkunde lehrt, wurde der Maulkorb umgehängt: Henning darf nicht mehr wie bisher behaupten, daß es sich bei der Maßnahme des Kultusministeriums um eine unumwundene Drohung, eine indirekte Zensur oder einen Eingriff in die Kunstfreiheit handele. Nicht einmal mit heimnehmen und kopieren darf er die Analyse des Kultusministeriums, die im Zimmer des Schuldirektors liegt. Nur unter dessen Aufsicht darf Henning die siebenseitige Romanerörterung studieren und abschreiben.

Warum diese Geheimnistuerei, warum die Daumenschrauben? Das Kultusministerium hat offenbar Angst, daß es sich wieder zum Gespött der Republik macht. Das war schon vor einigen Monaten der Fall gewesen, als der forsche Ministerialrat Norbert Eckl „Einsicht in das Buch“ genommen hatte und gar Erschröckliches erblickte: Die sexuellen Obsessionen eines Zöllners, der sich in seiner erotischen Verkorkstheit nur noch mit Gummipuppen vergnügen kann.

Besonders um die Schülerinnen in der Kleinstadt Coburg sorgte sich der sittenstrenge Spitzenbeamte: „Sie könnten es als belastend empfinden, von einem Lehrer mit solchen Phantasien unterrichtet zu werden. Stellen Sie sich vor, das Buch wird verfilmt.“

Das Dumme an solchen Horrorszenen war nur, daß sich bis heute weder Schüler noch Eltern, noch der Direktor des Gymnasiums über den 47jährigen Lehrer erregen, der seit 19 Jahren friedlich verheiratet ist und vier Kinder in die Welt gesetzt hat. Im Gegenteil – die Pennäler hätten seinen Romanerstling lieber schärfer gehabt und sprachen von „viel zu lahmem Altherrensex“.

Selbst der Vorsitzende des Elternbeirats stellte sich hinter den beliebten Lehrer: „Den Lernenden so eine kompetente Person zu entziehen, um diesen damit zu bestrafen, halte ich für Unfug. Wer pharisäerhaft den Finger gegen dieses Buch erhebt, sollte lieber die Gewalt in den Medien bekämpfen. Wir brauchen Leute wie Henning, weil wir unsere Kinder zu Querdenkern und nicht zu Duckmäusern erziehen wollen.“

Ministerrat Eckl, der die ganze Affäre mit seiner Übereifrigkeit vom Zaun gebrochen hatte und damit alle Klischees über die Prüderie bayerischer Schulpolitik trefflich bestätigt hat, will sich bis heute nicht eingestehen, daß er ein gewaltiges Eigentor geschossen hat und Werbung für das Buch betrieben hat: „Wir sehen nicht ein, warum wir, wenn einer über Sex schreibt, nicht genau hinschauen dürfen. [Dürfen Sie doch, nur zensieren und eingreifen sollten Sie nicht dürfen! d.sin] Wenn ein Lehrer Ausländerfeindlichkeit verherrlichen würde, müßten wir auch einschreiten.“

Gegen Eckls seltsame Vergleiche hat sich der Widerstand längst formiert. Von der GEW bis zum PEN-Zentrum hagelte es Proteste. Der Verband Deutscher Schriftsteller (VS) fühlte sich an die „schlimmsten Zeiten der Berufsverbote“ erinnert und bot Rechtsschutz an. Selbst die Deutsche Lehrerzeitung muckte offen gegen die bayerische Kultusbürokratie auf.

Das harsche Vorgehen des Kultusministeriums, das unter der Führung des erzkonservativen Katholiken Hans Zehetmair steht, mutet um so lächerlicher an, wenn man sich eine Affäre ins Gedächtnis zurückruft, die Zehetmair unendlich peinlich gewesen sein muß: Vor Jahren soll sich, wie Zeitungen berichteten, der oberste bayerische Sittenwächter als „Busen- Grapscher“ profiliert haben. Bei einem feuchtfröhlichen Fest soll der Vorsitzende des Männervereins von Tuntenhausen zwei SPD- Politikerinnen auf dem Tanzparkett gegenüber zupackend geworden sein. Richtig dementiert hat das Zehetmair bis heute nicht. Was ihn nicht daran hindert, seine Beamten im Kampf gegen einen ziemlich harmlosen Romancier weiter wüten zu lassen. Manfred Otzelberger