Eric, der Philosoph

■ Der Karate-Tritt des Fußballers Eric Cantona führt zu ernsthaften französisch-englischen Kulturdiskussionen

Amsterdam/London (taz) – Es war nur ein kleiner Tritt für die Menschheit, ein großer jedoch für die philosophische Welt. Des Franzosen Eric Cantonas Karate-Anfall gegen den englischen Fußballfan Matthew Simmons hatte neben der Sperre für Cantona (bis zum Saisonende) noch ganz andere Folgen. In Manchester, wo Cantona bei United spielt, finden T-Shirts reißenden Absatz, auf denen neben den Abdrücken zweier Fußballschuhe zu sehen ist: „I'VE MET CANTONA“.

Während das gemeine Fußballvolk also Kapital aus dem unglückseligen Zusammenprall der englischen und der französischen Streitkultur zu schlagen versucht, beschäftigen sich ernsthaftere Geister in beiden Ländern mit den kulturellen Ursachen der wilden Aktion. Simmons hatte nämlich nicht irgend etwas gerufen, sondern: „du dreckiges französisches Arschloch“. Während die englische Boulevardpresse Cantona den „Instinkt eines Steinzeitmenschen“ bescheinigte, analysierte Der Times-Kolumnist Simon Jenkins, daß Cantona mit seinem südlichen Blut auf typisch lateinische Weise reagiert habe; allerdings sei das ja auch jenes Blut, welches die englischen Damen so sehr schätzten. Diese Übertretung sei ferner typisch für das zentralisierte französische Schulsystem. Nicht anders als dem Philosophen Jean-Paul Sartre sei es Cantona egal, welche Folgen sein Auftreten habe – er fechte für Gerechtigkeit, und das Ziel heilige alle Mittel. The Guardian näherte sich Cantona über die Theorien eines anderen Franzosen – Albert Camus: „Der Mensch muß gelegentlich tiefgreifende Beschlüsse tätigen, existentielle Sprünge.“

Der 20jährige Simmons dagegen habe keine körperliche Gewalt gebraucht, er versuchte es mit „schlechtem und vulgärem Vokabular“. Dafür, so einige konservative Politiker, sei nun wieder das „tolerante britische Schulsystem“ verantwortlich. Times-Schreiber Jenkins: „Wenn Fußball-Hooliganismus wirklich die Schuld von fortschrittlichen Lehrern ist, dann ist Cantona ein Philosoph.“ Jenkins unterließ es auch nicht, Cantonas Lieblingsdichter zu zitieren, Arthur Rimbaud: „Was ist ein Mensch ohne Gebrechen?“

Die französische Presse fand hingegen Verständnis für die geschundene Seele Cantonas. Le Soir schrieb: „Wenn Cantona sich nicht gerächt hat für den Mord an Jeanne d'Arc, dann hat er doch sicher die nationale Ehre gerettet.“ Ganz anders die Qualitätszeitung Le Monde, die von ihrem Standpunkt „Sport ist nicht wichtig“ kaum abwich. Die Affäre Cantona tat sie mit einem kurzen, sachlichen Bericht ab. Falk Madeja