Wir lassen lesen
: Energie und Aura

■ 20 Texte zur feministischen Sport- und Bewegungskultur

Normalität kann sehr, sehr grotesk sein. Besonders erhellend in diesem Zusammenhang wirkt zumeist der distanzierte Blick der anderen, jener, die draußen bleiben müssen. Und was, wenn nicht das andere, verkörpern – das hat der smarte Psychoanalytiker Jacques Lacan ganz richtig erkannt – die Frauen. Die Norm ist nicht nur in unserer Gesellschaft der Mann, und wo kann dieser besser seinem Über-Tarzan frönen als im traditionellen Sport? Eben.

Die von der Sportwissenschaftlerin Susanne Bischoff herausgegebene Publikation „... auf Bäume klettern ist politisch“ enthält 20 Texte aus der feministischen Bewegungs- und Sportkultur, deren Autorinnen genau hingeguckt haben. Claudia Neidig beispielsweise. Die ehemalige Turniertänzerin fordert, der tradierten Bezeichnung „lateinamerikanische Paartänze“ ein „afro-“ voranzustellen, und belegt dies plausibel mit der These, daß die Ursprünge dieser Tänze nachweislich im afrikanischen Kulturkreis lägen.

Die analytische Bestandsaufnahe wird auch von anderen Autorinnen, gekoppelt mit der Darstellung eigener Erfahrungen, um eine historisch-globale Dimension erweitert: Was ist der uns heute geläufige Sport schließlich mehr als ein medial hochgetuntes Destillat aus etlichen Jahrtausenden menschlicher Bewegungsgeschichte? Ehemals substantiell mit Bewegungsriten verknüpfte Elemente wie Spiritualität oder Ganzheitlichkeit werden von den Autorinnen des Bandes bei der Konzeption ihrer Praxisansätze berücksichtigt.

Daß der Umgang mit traditionellen Bewegungsformen nicht dogmatisch sein muß, verdeutlicht Susanne Bischoff am Beispiel Aikido. Die Herausgeberin schätzt „die Möglichkeit eines Sich-in-der-Tiefe-Begegnens“ an dieser Kampfkunst, ihre Grußrituale weniger: Sie fordert ein „Entmüllen patriarchaler Autoritäts- und Demutsstrukturen“. Begriffe wie „Zentrum“, „Energie“ oder „Aura“ spielen in der Methodik zum Tennis, Reiten, Volleyball oder Arnis (Stockkampf) ebenso eine Rolle wie die Orientierung an den Alltagserfahrungen der Frauen.

Frauensport also doch gleich Blümchen-Sport? Nun, die Autorinnen verneinen die mögliche Lust von Frauen auf Leistung, Wettkampf und Konkurrenz keineswegs, für eine feministische Erweiterung des Sportangebots befinden sie die Reproduktion dieser bestehenden (sportlichen) Normen jedoch nicht tauglich. Ein „Schablonen des Sieges“ betitelter Beitrag von Ingrid Strobl knüpft hier an. Die Autorin untersucht Frauen-Bilder und zeichnet den Zusammenhang ästhetischer mit rassistischen Normen anhand diverser, auch aktueller Visualisierungen von Siegerinnen eindrucksvoll nach.

Das breite thematische Spektrum der publizierten Texte findet eine konsequent-formale Entsprechung. Während einige Autorinnen eine eher konventionelle Schreibe favorisieren, lassen sich andere lieber von den Theorien der radikal-feministischen Linguistin Luise F. Pusch inspirieren. Bahara Zschernacks Text ist gespickt mit Kreationen wie „zwangsheTERRORsexualität“, „sieinnerung“ oder „körpsie“. Ob die Leserin nun Grausen, heitere Gelassenheit oder tiefe Befriedigung angesichts derartigen Sprachgebrauchs empfindet: Mutig war es allemal von der Herausgeberin, die Verschiedenartigkeit der „Texte aus der Feministischen Bewegungs- und Sportkultur“ nicht auf einen einheitlichen Strang zurechtgestutzt zu haben. Claudia Thomsen

Susanne Bischoff (Hgin): „... auf Bäume klettern ist politisch. Texte aus der Feministischen Bewegungs- und Sportkultur“. Frühlings Erwachen, Hamburg 1993, 232 Seiten, 33 DM, ISBN 3-928456-10-5