Alle sollen nachdenken

■ "Der Ehrliche ist der Dumme": Ulrich Wickert über die Öffentlich-Rechtlichen, die Privaten und sein neues Buch

taz: Meiner 17jährigen Tochter ist der Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert weit weniger präsent als das Kollegium von „RTL- Explosiv“, „stern-TV“ oder anderen privaten TV-Meisterwerken. Ist das bedenklich für die Tochter, den verantwortlichen Vater oder gar die öffentlich-rechtlichen Medien mit ihren Jugend-Akzeptanz- Problemen? Wer muß am meisten nachdenken?

Ulrich Wickert: Alle in der Gesellschaft sollen nachdenken. Die Politiker, die Journalisten, die Väter, die Mütter. Es ist nicht wichtig, ein Programm zu machen, das Jugendliche angucken, sondern ein Programm, das sich an Werten orientiert. Die Kommerziellen richten sich allein danach, wie sie am meisten Zuschauer bekommen. Da der Mensch nicht nur gut, sondern auch schwach ist, richtet er sich häufig nach den Dingen, die die niederen Instinkte ansprechen: Rache, Haß – weiß der Teufel, was auch immer, weswegen dann viele Leute einschalten. Eigentlich müssen nicht die Öffentlich-Rechtlichen nachdenken. Die Gesellschaft muß sich über den Zustand der kommerziellen Fernsehprogramme Gedanken machen.

Die Medienkritik in Ihrem jüngsten Buch „Der Ehrliche ist der Dumme“ richtet sich hauptsächlich gegen die Privaten. Das liest sich, als ob die Öffentlich- Rechtlichen auf dem richtigen Weg sind, wenn sie sich von den Kommerziellen nicht zu sehr verführen lassen.

Ich kritisiere in meinem Buch sogar die „Tagesthemen“ am Beispiel zweier Berichte, die so nicht hätten gesendet werden dürfen. Aber es ist richtig, daß die Öffentlich-Rechtlichen längst nicht das machen, was die Privaten machen. Deshalb stehen letztere auch mehr in der Kritik. Nehmen Sie die öffentliche Diskussion über die Kinderserie „Power Rangers“ bei RTL. So was würde bei uns nie laufen. Da läuft die „Sendung mit der Maus“.

Die Kritik an den Kommerzsendern ist bekannt und sicher nicht unberechtigt. Aber selbst ein Lutz Hachmeister, Direktor des medienkritischen Adolf-Grimme-Instituts, hat die Öffentlich-Rechtlichen gemahnt, es sich mit der Kritik an den Privaten nicht zu leicht zu machen, und dabei auf neue Impulse gerade bei Präsentationsformen und der Ansprache des Publikums hingewiesen. Können Sie ihm da folgen?

Daß durch die Entstehung der kommerziellen Fernsehstationen natürlich Bewegung, auch positive Bewegung in die Medienlandschaft gekommen ist, kann man nicht bestreiten.

Wo sehen Sie da Positives?

Sicherlich die Überlegung, ob man dem Zuschauer etwas mehr entgegenkommen kann. Solange es keine Konkurrenz gab, konnten die Öffentlich-Rechtlichen senden, was immer sie wollten. Zum großen Teil war es gut, aber es gab auch Dinge, die nicht gut waren.

Meinen Sie eine gewisse Behäbigkeit ...?

Ja, ja, gar keine Frage. Ich sage immer: Konkurrenz belebt das Geschäft.

Noch mal zur Kritik an den Privaten: Die wirkt dann heuchlerisch, wenn man denen dann doch stillschweigend und aus Angst vor Zuschauerverlusten hinterherläuft, sie nachahmt, Ähnliches bietet.

Ähnliches ist nicht immer das Gleiche. Wir überlegen uns sehr bewußt, welche Bilder wir zum Beispiel aus Katastrophengebieten zeigen und welche nicht. Bei einer Geiselnahme können wir die Berichterstattung ja nicht verweigern. Es kommt nur darauf an, wie darüber berichtet wird.

„Der Ehrliche ist der Dumme“: Gilt Ihr Buchtitel – um Sie noch einmal damit zu quälen – auch im Bereich von ARD und ZDF?

Das ist ein ironischer Satz, der auch provozierend sein soll. In Wirklichkeit ist der Ehrliche langfristig nicht der Dumme. Dumm sein ist eine Untugend, Dummheit ist der Verzicht auf Denken und Vernunft. Wenn Sie fragen, ob der Ehrliche in den Öffentlich-Rechtlichen der Dumme ist, so sage ich: Ich bin der Meinung, daß er nirgendwo der Dumme ist.

Aber von dem Zustand, daß ehrlich am längsten währt, sind wir doch leider entfernt.

Bei uns benehmen sich noch viele Leute ehrlich und entsprechen auch langfrisig dem von Ihnen zitierten Spruch „Ehrlich währt am längsten“. Das ist gar keine Frage; das sehen Sie in der Politik, das sehen Sie überall.

Noch mal zur Ehrlichkeit: Wieviel von ihrem Buch haben Sie selbst ins Notebook getippt?

Alles, hundertprozentig. Ich schreibe immer alles selber.

Interview: Richard Laufner

Zum Weiterlesen:

Ulrich Wickert: „Der Ehrliche ist der Dumme“, Hoffmann und Campe-Verlag Hamburg, 270 Seiten, gebunden, 38DM