Nur freie Wahlen sichern Frauenrechte

■ Die Anbindung einiger Feministinnen an die Regierung ist ein Fehler. Denn auch sie terrorisiert das algerische Volk

Der Begriff „Feminismus“ entspricht weder der algerischen Wirklichkeit noch der Natur der Probleme, mit denen die Frauen konfrontiert werden. Lediglich eine winzige Minderheit politisch Engagierter beruft sich auf ihn. Aber sie stehen keinesfalls für die algerische Frauenbewegung. Diese war, von ihrer Gründung gegen Ende der siebziger Jahre bis zum Dezember 1991, sehr bedeutend und hatte auf nationaler Ebene eine echte Präsenz, auf die Frauen aus allen sozialen Schichten ihren Einfluß nahmen. Kernpunkt ihres Engagements war die Forderung nach Gleichheit im Rahmen des bürgerlichen Gesetzes, nach rechtlicher Gleichstellung der Frauen. Dazu gehörte vor allem der Kampf um die Abschaffung des Familienrechts.

Die Frauenbewegung war von Anfang an ein wesentlicher Teil der umfassenderen Bewegung der Volksmehrheit für demokratische Freiheiten und gegen das Einparteiensystem. Es ging keinesfalls um einen Gegensatz Mann-Frau, sondern darum, das Gleichheitsprinzip, Basis jeder Demokratie, zu erringen. Daraus haben die Kämpfe der Frauen ihre Kraft geschöpft, die Zustimmung breiter Gesellschaftsschichten hervorgerufen, und daraus haben die Vereinigungen die Aktionseinheit verwirklichen können.

Die algerische Frauenbewegung für die Bürgerrechte ist im Dezember 1991 zerschlagen worden. Ihre Einheit ist zerbrochen, als einige der insgesamt 21 Vereinigungen die Bereiche Frauenrecht und Abschaffung des Familiengesetzes als Hauptforderung fallenließen, sich für die Annullierung der Wahlen aussprachen und sich aktiv an der Legitimation des Staatsstreiches der Militärs vom 11. Januar 1992 beteiligten. Seit diesem Schlüsseldatum, das Algerien in einen grauenhaften, spalterischen Krieg stürzte, haben nur noch Vereinigungen, die das Militärregime unterstützen, Recht auf Meinungsfreiheit. Die anderen Organisationen sind, obschon sie immer noch legal existieren, zum völligen Schweigen verurteilt worden. Die Anstifter des Staatsstreiches sind nie daran interessiert gewesen, die Rechte der Frauen oder anderer Teile der Bevölkerung zu garantieren. Vielmehr waren sie stets bemüht, all die Frauen und Männer zu knebeln, die politische, rechtliche oder soziale Forderungen artikuliert haben, unabhängig von deren jeweiliger Haltung zu den islamischen Parteien.

Man kann nicht von Islamisten sprechen, als ob es sich um eine einzige Partei handelt, denn es existieren mehrere islamische Parteien, von denen nur die wichtigste, die FIS, aufgelöst worden ist. Die anderen, weit weniger wichtigen sind, obwohl sie das gleiche Gesellschaftsmodell fordern, nicht durch das Verbot getroffen worden, da sie sich nicht so explizit gegen den Abbruch der Wahlen und den darauf folgenden Staatsstreich gestellt haben und somit die Machthaber nicht stören. Die bewaffneten Gruppen sind das Ergebnis des Staatsstreiches, der Ausrufung des Notstandes, der Unterdrückung und der Auflösung der FIS. Da die islamische Richtung und besonders die FIS bedeutend sind, gilt dies auch für die Zahl ihrer Mitglieder und Sympathisanten. Dadurch, daß die Machthaber diesem Teil das politische Feld versperrt haben, haben sie ihn in die Illegalität und den bewaffneten Kampf getrieben. Gerade die zahlreichen Armenviertel sind von den ständigen Auseinandersetzungen betroffen, weil die schrecklichen Lebensbedingungen und der totale Ausschluß der Jugend soviel Enttäuschungen mit sich bringt. Diese Zustände bergen ein beträchtliches Gewaltpotential, dem die Machthaber durch repressive Maßnahmen zu begegnen versuchen. In Wirklichkeit treiben sie die Menschen in den Untergrund. Wir sind weit von einer Lösung des algerischen Dramas entfernt.

Im Gegenteil: Der Teufelskreis Unterdrückung – Gewalt – Unterdrückung hat zur Zersplitterung des Landes geführt und droht zum Bürgerkrieg zu werden. Seit einigen Monaten verteilen die Machthaber zur sogenannten „Selbstverteidigung“ Waffen an Zivilisten. Diese Waffen werden für Überfälle und Fehden genutzt und tragen so zum weiteren Zusammenbruch bei.

Seit drei Jahren wird in der Presse nur von Morden gesprochen, die zu Recht oder zu Unrecht den bewaffneten Gruppen zugeschrieben werden. Algerien leidet aber auch unter einem nicht erklärten Ausnahmerecht. Es gibt kaum eine Familie in den Armenvierteln, die nicht durch die Unterdrückungsmaßnahmen betroffen ist. Regelmäßig wird gefoltert, um Geständnisse zu erpressen. Sondergerichte haben das Wort. Willkürliche Erschießungen sind ein offenes Geheimnis. Bei Strafoperationen und Repressalien gegen die Zivilbevölkerung werden die Frauen, Schwestern und Töchter der Kämpfer oder auch nur gesuchter Bürger keinesfalls ausgespart. Frauen sind verhaftet, geschlagen worden.

Warum haben die algerischen „Feministinnen“, die seit drei Jahren das Privileg genießen, Zugang zu den Medien zu haben, niemals gegen diese Auswüchse protestiert? Ist es nicht ein merkwürdiges Verständnis von Frauenrecht, das gewisse Verletzungen anklagt und andere wiederum rechtfertigt?

Es ist kein Zufall, daß engagierte „Feministinnen“ von dem aus dem Staatsstreich hervorgegangenen Regime auf Ministerposten gesetzt oder zu „Abgeordneten“ eines nicht gewählten und daher unrechtmäßigen Parlaments ernannt worden sind. Das bringt schließlich beachtliche materielle Vorteile mit sich. Wie aber soll die Frauenbewegung glaubwürdig bleiben, wenn sie von einigen als Trittbrett zur Macht oder als Geschäftsgrundlage im Ausland benutzt wird?

Auf alle Fälle steht von nun an fest, daß die Interessen und die Rechte der Frauen mit dem Krieg unvereinbar sind und von der Gesamtheit der demokratischen Forderungen nicht getrennt werden können. Nur die wahre, dem Gleichheitsgedanken und der Volkssouveränität ergebene Demokratie kann sie garantieren. Es liegt also auch im Interesse der Frauen, daß der Ausnahmezustand aufgehoben wird und daß alle Ausnahmegesetze abgeschafft werden. Wer einen Teil des Volkes unterdrückt, um ein vermeintliches Recht aufrechtzuerhalten, das de facto nicht einmal existiert, bereitet den Weg für eine allgemeine Unterdrückung des gesamten Volkes.

Deshalb besteht die einzige Lösung in der Wiedererrichtung der bürgerlichen Freiheiten und der Organisation freier und demokratischer Parlamentswahlen. Angemessen wäre ein Verhältniswahlrecht, das gewährleistet, daß keine Stimme verlorengeht. So hätte jedes politische Programm eine Vertretung, die seinem tatsächlichen Einfluß entspricht. Nur so könnten sich auch die Frauen organisieren, um die Gleichheit vor dem Gesetz in der Verfassung durchzusetzen. Louisa Hanoune

Die Autorin ist Aktivistin der linken algerischen Parti Des Travailleurs

Übersetzung: Christophe Zerpka