■ Richter Orlets Schöffen dürfen sich verweigern
: Selbstheilungskräfte

Es gibt immer ein erstes Mal. Jetzt ist es eine Schöffin am Mannheimer Landgericht, die zur gestrigen Verhandlung am Gericht, dem der Richter Rainer Orlet beisitzt, nicht erschien. Klar ist, daß Elke Eichner zu diesem Verhalten nicht berechtigt ist. Als Laienrichterin ist sie verpflichtet, an den Sitzungen, denen sie durch den Geschäftsverteilungsplan per Los zugeteilt wurde, teilzunehmen. Die „Gewissensgründe“, aus denen die Schöffen einem Verharmloser rechtsradikaler Positionen nicht beisitzen wollen, sind rechtlich betrachtet Schall und Rauch.

Unklar ist daher, ob diese rechtliche Ebene durch die moralische außer Kraft gesetzt wird. Schöffen sind Zwitter. Sie sind einerseits Richter, die mit ihrer Stimme am Schuldspruch teilnehmen. Und sie sind Privatpersonen ohne juristische Schulung. Und genau darin liegt der Sinn ihrer Funktion. Die juristischen Erwägungen der Berufsrichter sollen ergänzt werden durch das ungetrübte Alltagsverständnis von Personen wie du und ich. Insofern kann man ihr Verhalten nicht nur von der Rechtslage her beurteilen, nicht nur von der Verpflichtung, die sich aus ihrer Richterstellung ergibt. Es muß ihnen auch hinsichtlich des Tätigwerdens selbst unbenommen sein, ihren privaten Überzeugungen Geltung zu verleihen und sie zur Grundlage ihrer Entscheidung zu machen.

Und: Es gibt das Argument, wonach die Schöffen ihrer Tätigkeit in der Kammer schon deshalb nachkommen sollten, damit sie dem fragwürdigen Richter auf die Finger schauen können. Das ist wohl gesprochen. Allein das Auf-die-Finger-Schauen reicht nicht. Gerade weil die Schöffen keine juristische Kompetenz haben, sind sie auf die Interpretationen der Berufsrichter und deren Wertungen angewiesen. Vor allem aber: Die schriftlichen Urteile und damit auch die eigentliche Begründung werden von den Schöffen weder mitverfaßt noch überhaupt gelesen, geschweige denn unterschrieben.

Ein Auf-die-Finger-Schauen könnte sich bei der Orlet-Kammer nur darauf beschränken, nörgelnd mal hier, mal dort einzugreifen. Damit ist nichts gewonnen. Es erwiese sich lediglich als Befriedungsversuch in einer Situation, die nach anderen Auswegen ruft. Julia Albrecht