■ Die EU muß Bosnien, Kroatien, Serbien und den anderen exjugoslawischen Republiken die Mitgliedschaft anbieten
: Eine Kursänderung tut not

Vor über drei Jahren, am 15. Januar 1992, erkannte die Europäische Gemeinschaft Slowenien und Kroatien als unabhängige Staaten an – auf Drängen Deutschlands und nach zunächst erheblichen Bedenken fast aller anderen EG- Partner und der USA. Im April 1992 wurde Bosnien anerkannt. Damit hatte sich die zentrale Argumentation der Regierung Kohl/ Genscher durchgesetzt: Nur nach einer völkerrechtlichen Anerkennung der ehemaligen jugoslawischen Republiken kann die internationale Gemeinschaft eingreifen zum Schutz der neu anerkannten Staaten vor der serbischen Aggression und zur Korrektur der damals bereits stattfindenden „ethnischen Säuberungen“.

Gemessen an diesen öffentlich verkündeten Zielen und Begründungen, ist die Politik der EU in Kroatien und in Bosnien inzwischen total und endgültig gescheitert. In Kroatien wurde der Vance- Plan nicht umgesetzt. Es droht ein neuer Krieg. Und in Bosnien erhielt trotz immer weitergehender Sanktionierung der serbischen Eroberungen keiner der zahlreichen „Friedenspläne“ die verbindliche Unterschrift der Pale-Serben.

Für 1995 und darüber hinaus droht die Fortsetzung des zynischen Szenarios der letzten drei Jahre: Krieg und Vertreibung mit erneut Zehntausenden Opfern vor allem unter der Zivilbevölkerung und parallel Verhandlungen mit den Führern der Kriegsparteien ohne jeden realen Fortschritt. Einen Ausweg aus dieser völlig verfahrenen Lage böte – wenn überhaupt – nur noch eine grundsätzliche Kurskorrektur der EU-Politik. Ausgangspunkt hierfür müßten die Erkenntnis und das Eingeständnis sein, daß die Anerkennung Kroatiens und Bosniens ein Problem geschaffen hat, das sich mit all den bislang versuchten politischen, diplomatischen oder militärischen Mitteln nicht lösen läßt: Die in den beiden früheren jugoslawischen Teilrepubliken Bosnien und Kroatien lebenden Serben fühlen sich seit der Anerkennung als bedrohte Minderheiten in den neuen unabhängigen Staaten. Zur Begründung dieser Ängste wird verwiesen auf schlimme Erfahrungen der Serben mit jenen den Nazis verbündeten kroatischen Ustascha-Faschisten während des Zweiten Weltkrieges oder mit den muslimischen Türken in früheren Jahrhunderten; auf serbenfeindliches Verhalten der Regierung Tudjman schon seit Ende der 80er Jahre oder auf den angeblich wachsenden Einfluß des islamischen Fundamentalismus auf die Regierung in Sarajevo. Ob alle diese Ängste berechtigt sind, inwieweit sie auch schon vor Ausbruch der gewalttätigen Konflikte im Jahr 1991 vorhanden waren oder – wofür es zumindest im Falle Bosnien zahlreiche Indizien gibt – erst seither durch geschickte Propaganda erzeugt wurden: darüber ließe sich weiterhin jahrelang diskutieren, wahrscheinlich ohne einen Konsens zu erzielen. Doch die Suche nach einer möglichst baldigen politischen Lösung muß diese Ängste schlicht als politischen Faktor anerkennen und einkalkulieren. Das bedeutet keineswegs eine Relativierung der serbischen Kriegsschuld. Eine Lösung muß nicht nur Bosnien und Kroatien, sondern auch Serbien und den Serben in Kroatien und Bosnien eine wirtschaftliche und politische Alternative bieten, die das weitere Kriegführen und großserbische Pläne für die Bevölkerung unattraktiv macht und den nationalistischen Kriegsherren die politische Unterstützung entzieht.

Eine Rückkehr zum Status quo ante, also die Wiederherstellung der ehemaligen Jugoslawischen Föderation, scheint ausgeschlossen. Schon allein weil zumindest Slowenien, aber wohl auch Bosnien, Kroatien und Makedonien nicht mitmachen würden. Als Lösung käme das Angebot der EU- Mitgliedschaft an Kroatien, Bosnien, Serbien/Montenegro, Slowenien und Makedonien in Frage – verbunden mit einem Wiederaufbauprogramm für die kriegsversehrten Länder und unter den Bedingungen, daß alle territorialen Eroberungen der letzten dreieinhalb Jahre rückgängig gemacht werden, daß alle Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren können und daß die seit Juni 1991 verübten Kriegsverbrechen verfolgt werden. Als Bürger eines EU-Landes wären die serbischen Minderheiten in Kroatien und Bosnien zur Sicherung ihrer Rechte nicht ausschließlich auf die Regierungen in Zagreb und Sarajevo angewiesen. Bei Konflikten könnten sie sich an die EU-Institutionen in Brüssel und Straßburg wenden. Dasselbe gälte für die Albaner im Kosovo oder die diversen Volksgruppen in Makedonien. Die Grenzen zwischen Serbien und Bosnien oder Serbien und Kroatien würden in einem EU-Gebiet schließlich so irrelevant wie die heutige Grenze zwischen Holland und Deutschland. Den Menschen im wirtschaftlich und politisch-moralisch ruinierten Serbien böte die EU-Mitgliedschaft endlich eine Perspektive, die das Milošević-Regime ihnen unter keinen Umständen – auch nicht nach Aufhebung aller Wirtschaftssanktionen der UNO – bieten kann. Viele serbische Geprächspartner, darunter längst nicht nur Gegner Milošević' – sind überzeugt, daß sich die Bürger Serbiens trotz all der Anti-EU-Progaganda der letzten drei Jahre bei einer Volksabstimmung zu mindestens 80 Prozent für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union aussprechen würden.

Das Eingeständis des Scheiterns wäre weder eine Niederlage noch Ausdruck der Schwäche der EU, sondern im Gegenteil Voraussetzung für eine neue Politik der EU. Das politische Gewicht, um eine grundsätzliche Kursänderung der EU-Politik einzuleiten, hätte unter den 15 Regierungschefs am ehesten Bundeskanzler Helmut Kohl. Eine entsprechende Initiative der Bonner Regierung könnte dazu führen, daß das im Herbst 1991 in London, Paris und anderen EU- Hauptstädten entstandene Mißtrauen über die Motive für Deutschlands Anerkennungspolitik endlich ausgeräumt wird. Dieses Mißtrauen hat in den letzten drei Jahren ganz wesentlich die Jugoslawienpolitik Großbritanniens und Frankreichs bestimmt. Ein gemeinsames Vorgehen der EU gibt es – trotz aller gegenteiligen Bekundungen – bis heute nicht.

Eine EU-Mitgliedschaft der ehemaligen jugoslawischen Republiken und das notwendige Wiederaufbauprogramm für die kriegsversehrten Länder wird die bisherigen EU-Staaten, das heißt ihre steuerzahlenden BürgerInnen, kurzfristig viel Geld kosten. Diese Schritte aus diesem Grund abzulehnen wäre allerdings kurzsichtig. Die bloße Fortsetzung der Politik der letzten drei Jahre wird mittel- und langfristig viel teurer. Sowohl hinsichtlich der materiellen wie der politischen Kosten für ganz Europa. Andreas Zumach