Dschungelkrieg gegen einen Feind ohne Gesicht

■ Nach jahrelangem Kampf gegen Rebellen mobilisiert Sierra Leones Regierung zur Verteidigung der Hauptstadt / Zehntausende Opfer – aber wer sind die Täter?

Berlin (taz) – Rebellenführer suchen normalerweise die Öffentlichkeit. Manchmal kokettieren sie mit Verschleierung, wie Mexikos Comandante Marcos. Aber keiner praktiziert eine so systematische Selbstverleugnung wie Foday Sankoh, wenig bekannter Führer der wenig bekannten „Revolutionären Einheitsfront“ (RUF) im wenig bekannten westafrikanischen Bürgerkriegsland Sierra Leone. „Ich kenne niemanden, der ihn je gesehen hat“, seufzt David John, in Deutschland arbeitender sierraleonischer Journalist, über den angeblich 57jährigen Sankoh. „Irgendwann gab es ihn schon“, meint Ruth Sawyer, eine vor wenigen Tagen aus Sierra Leone zurückgekehrte britische Journalistin. Andere Beobachter spekulieren, er sei längst tot.

Es ist ein kurioser Zustand für den Kopf einer Guerilla, die – glaubt man der Regierung des Landes – kurz davor stehen soll, die Hauptstadt Freetown einzunehmen. Nie ist Sankoh als Guerillaführer öffentlich aufgetreten; wo die RUF im sierraleonischen Dschungel ihr Hauptquartier hat, ist nicht bekannt, und man weiß nicht einmal, ob sie als einheitliche Organisation noch existiert oder hoffnungslos gespalten ist.

Seit 1991 – damals gegründet mit Unterstützung der im benachbarten Liberia kämpfenden „Nationalpatriotischen Front“ des nicht minder schillernden Buschkämpfers Charles Taylor – bekriegte die auf das ost-sierraleonische Mende-Volk gestützte RUF zuerst den damaligen Präsidenten Joseph Momoh und dann die Militärjunta des Leutnants Valentine Strasser, der 1992 als 27jähriger aus Ärger über mangelnde Erfolge gegen die Rebellen Momohs Zivilregierung stürzte. Die Kämpfe, die sich zunächst auf die Gold- und Diamantengebiete im Osten und Südosten beschränkten, dehnten sich 1994 auch auf andere Landesteile aus. Mehr als eine Million Menschen – ein Viertel der Gesamtbevölkerung – haben inzwischen ihre Heimat verloren; Freetown quillt über von verängstigten Flüchtlingen. „Zehntausende von Menschen wurden verstümmelt, ermordet, verwundet und vertrieben“, sagt ein Rotkreuzhelfer.

Heute ist Freetown der einzige relativ sichere, von der Regierung kontrollierte Ort des Landes. Aber wer kontrolliert den Rest? Die RUF? Eine einheitliche Bürgerkriegsfront gibt es nicht, eher sind offensichtlich alle Seiten an den zunehmend wahllosen Entführungen, Überfällen und Tötungen im ganzen Land beteiligt. „Die meisten Rebellenangriffe werden von Männern in Armeeuniformen verübt“, berichtet Ruth Sawyer. „Manche Menschen sagen, die RUF existiert wirklich, andere sagen, alles geht auf das Konto der Armee.“ Journalisten in Freetown mutmaßen, der ganze Bürgerkrieg sei ein einziger blutiger Machtkampf innerhalb des Militärapparates um die Kontrolle des lukrativen Diamantenhandels.

Wie fließend die Grenze zwischen regulären Soldaten und irregulären Bewaffneten ist, zeigt das Beispiel der Stadt Kenema: Weil die eigenen Soldaten zu undiszipliniert waren, beschloß die Regierung vor einem Jahr, die Wahrung von Recht und Ordnung einem örtlichen Magierbund zu übertragen. Als der die Regierungstruppen entwaffnen wollte, rächten sich diese mit regelrechten Plünderfeldzügen. Daraufhin schickte die Regierung die Magier nach Hause und beorderte Soldaten aus Nigeria in die Stadt.

Die Forderung nach Abzug der Hilfstruppen aus Nigeria und der Beendigung der nigerianischen und britischen Militärhilfe an die Regierung ist so ziemlich das einzige, was zur Zeit konkret von der RUF zu hören ist. Um ihren Druck zu verstärken, entführte sie im Januar sieben europäische Mitarbeiter einer Bergbaugesellschaft und acht katholische Nonnen.

Während immer mehr Flüchtlinge in Freetown Schutz suchten, rief die Regierung am letzten Wochenende die Bewohner der Hauptstadt dazu auf, „Stöcke, Steine und Macheten“ zum Endkampf gegen den „Phantomfeind“ bereitzuhalten, womit sie dem ganzen Geschehen eine surreale Dimension verlieh, aber auch Ängste vor einem blutigen Finale weckte. Die tatsächliche Wirkung war ganz anders: Foday Sankoh, der mysteriöse Rebellenführer, rief im Verteidigungsministerium an und forderte Verhandlungen. Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) ist jetzt von beiden Seiten gebeten worden, eine Begegnung herbeizuführen. Das kann nach Ansicht von IKRK-Sprecher Kim Gordon- Bates „eine lange Prozedur“ werden. Denn noch immer weiß niemand, wo Sankoh steckt – nur daß es ihn tatsächlich noch gibt, gilt als erwiesen. Dominic Johnson