Der unsichtbare Mann

John Stockton von den Utah Jazz überflügelte Earvin „Magic“ Johnson als bester Zuspieler in der Geschichte der US-Basketball-Liga NBA  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Wie zuverlässig John Stockton seine Pässe an die Mitspieler bringt, zeigt allein schon die Tatsache, daß bereits vor Wochen der 1. Februar als jener Tag prognostiziert wurde, an dem der kleine Spielmacher der Utah Jazz zum besten Zuspieler der NBA- Geschichte werden würde. Genauso kam es. Vor einigen Tagen zog er an Oscar Robertson vorbei, und am Mittwoch brachten ihn seine sechzehn „Assists“ beim 129:88 gegen die Denver Nuggets auf insgesamt 9.927 Pässe, die zum Korberfolg führten – sechs mehr als der große Magic Johnson in seiner abrupt beendeten Karriere schaffte.

„Wenn du frei bist, bekommst du von ihm den Ball“, hieß es einst über Magic Johnson, eine Aussage, die genauso auf Stockton zutrifft. „In der Zehntelsekunde, die ich frei bin, ist auch schon der Ball da und wartet darauf, in den Korb geworfen zu werden“, staunt Teamkollege Jeff Hornacek, und Stocktons Alter ego, Karl Malone, sagt lapidar: „Ich erwarte immer den perfekten Paß von ihm. Und ich bekomme ihn.“ Die beiden bilden seit Jahren ein gefürchtetes Duo, wurden schon einmal zusammen zum „Most Valuable Player“ des All-Star-Matches gewählt und sind derzeit die Protagonisten einer Siegesserie, die sie an den Rand eines weiteren Rekordes brachte. Gestern abend in Houston hatten sie die Chance, mit den Los Angeles Lakers gleichzuziehen, die 1972 stolze 16 Auswärtssiege in Folge schafften.

In den letzten sieben Spielzeiten hat der 32jährige John Stockton stets die meisten Assists der Liga gesammelt und liegt auch jetzt mit 12,2 pro Spiel wieder vorn. Dennoch kam er bei der Wahl des All- Star-Teams durch die Fans bei den Point Guards nur auf Rang fünf. „Platz fünf war doch ziemlich gut“, grinst Stockton, der genau weiß, daß er mit seiner nüchternen, unscheinbaren Art kaum zum Superstar taugt. Der 1,85m große Mann mit den riesigen Händen ist vermutlich das vergessenste Mitglied des olympischen Dream Team von 1992, in Barcelona war er der einzige aus seiner Mannschaft, der völlig unbehelligt auf den Ramblas spazierengehen konnte.

Auch auf dem Spielfeld bemerkt man seine Anwesenheit manchmal kaum, bis einem ein Blick auf die Statistik zeigt, daß er schon zehn oder mehr Assists angehäuft hat. „Seine Pässe sind normalerweise geradeaus, nicht hinter dem Rücken oder zwischen den Beinen, kaum ein No-Look“, sagt Mitspieler David Benoit. Viele andere Point Guards würden denken, daß sie es mit diesem „kleinen weißen Kerl“ locker aufnehmen könnten: „Und dann macht er Hackfleisch aus ihnen.“ Was auch im physischen Sinn gemeint ist, denn dem so harmlos aussehenden Stockton ist kein unerlaubtes Mittel fremd. „Er ist einer der schmutzigsten Spieler der Liga“, behauptet Denvers Spielmacher Robert Pack nicht ohne Neid, „aber wenn er damit durchkommt, macht ihn das um so stärker.“

Stockton sieht auf dem Spielfeld alles und seine Pässe sind oft nicht nur für die Gegner überraschend, sondern auch für die Mannschaftskameraden. „Du darfst ihn nicht aus den Augen lassen“, lernte Neuling Jamie Watson schnell. „Ich habe das getan, und der Ball prallte mir an den Kopf, in den Rücken und sogar an die Hände.“ Besonders effektiv ist Stocktons Spiel jedoch dadurch, daß er ebenso wie Magic Johnson in der Lage ist, aus der Distanz zu treffen oder selbst zum Korb zu ziehen, wenn der entscheidende Paß nicht möglich ist. Sein Punkteschnitt beträgt in dieser Saison bisher 14,5 pro Spiel.

Obwohl ihn die Fans nicht gewählt haben, ist Stockton am 12. Februar beim All-Star-Game in Phoenix natürlich dabei. Coach Paul Westphal (Phoenix Suns) nominierte ihn ebenso wie Karl Malone als einen von sieben Ersatzspielern des West-Teams, dessen Startaufstellung aus Charles Barkley, Dan Majerle (beide Phoenix), Latrell Sprewell (Golden State), Shawn Kemp (Seattle) und Hakeem Olajuwon (Houston) besteht. Außerdem dabei: Detlef Schrempf, Gary Payton (beide Seattle), David Robinson (San Antonio), Cedric Ceballos (Lakers) und Mitch Richmond (Sacramento). Für den Osten starten Grant Hill (Detroit), der als erster Rookie die meisten Stimmen bekam, Scottie Pippen (Chicago), Shaquille O'Neal, Anfernee Hardaway (beide Orlando) und Reggie Miller (Indiana). Ersatz: Dana Barros (Philadelphia), Tyrone Hill (Cleveland), Patrick Ewing (New York), Alonzo Mourning, Larry Johnson (beide Charlotte), Joe Dumars (Detroit) und Vin Baker (Milwaukee).

Es ist die neunte All-Star-Berufung für Stockton, der seinen Rekord gegen Denver natürlich mit einem Paß auf Karl Malone perfekt machte. Die Begegnung in Salt Lake City wurde für fünf Minuten unterbrochen, um eine Zeremonie abzuhalten, die dem „Taschen-Magic-Johnson“ (Clyde Drexler) sichtlich peinlich war. Als es dann weiterging, zeigte sich Stockton erleichtert: „Ich bin froh, daß das mit dem Rekord endlich vorbei ist, jetzt kann ich wieder in Ruhe Basketball spielen.“