■ Vorgespult
: Film hören / "Squatt/Abriß"-franz.-dt.Hörfilm von Jean-Pierre Milanoff

„Squatt/Abriß“ – franz.-dt. Hörfilm von Jean-Pierre Milovanoff. 22.05 Uhr, BR 2

Nackt und reglos steht das Paar im zugigen Zimmer. Nur die Zeit bewegt sich unerbittlich in dem leeren, zum Abriß freigegebenen Wohnblock. Hypnotisch umkreisen die Erzählerstimmen diesen Zustand, so daß ich ihn förmlich sehen kann. Unendlich langsam, aber unerbittlich wird das karge Interieur dieses „Squatts“ vom winterlichen Dämmerlicht verschluckt. Ein letzter Lichtschimmer rutscht über die Tapete – und die Umrisse der Matratze, der vertrockneten Rosen verschwinden im schiefergrauen Nichts. Eine Taube flattert auf. Und immer wiedere hören wir die Flügelschläge – bis wir ein Standbild flirren sehen. Dann: ein Pistolenschuß, der das tableau vivant zerreißt. Hier funktioniert der Klang als Bildschnitt und zeigt auch gleich die Methode, mit der dieses Gebilde zwischen Film und Hörspiel die Fragmente einer Begegnung als Mosaik zusammenrafft.

Und was ist mit den beiden? Er, Killer auf Hafturlaub, lief ihr, der jungen Hausbesetzerin, im Kino in die Arme. Alleine und zu zweit treiben sie durchs kalte Paris, bis sie in diesem Zimmer landen. Zwischen den heutigen Szenen flüstert die Rückblende: In seiner dunklen Vorgeschichte liegt ein „gleichgültiger“ Mord, wie von Camus erfunden. Damals bekam der Täter lebenslänglich, weil den Richtern die Guillotine zu human erschien im Gegensatz zur „Lebensstrafe“. Und die Dame? Ist ein unbeschriebenes Blatt. Was für uns nicht weiter tragisch ist, denn schnell wird klar: Die zwei sind sowieso bloß Spielfiguren und handeln nach den Regeln des film noir. Wobei unser Filmgedächtnis die Leerstellen der Geschichte auffüllt, Handlungszüge erkennt und zum musikalischen Rhythmus des französisch- deutschen Erzählerchors aus Sätzen vibrierende Bilder erzeugt. So sprühen die Sprachen Funken – während andere Versuche dieser Art leider zu oft in linguistischer Verrenkung erstarren.

Daß die Bildersequenzen manchmal nach Klischees riechen, muß nicht stören. Denn hier beleben sie eine Krimi-Tradition, die sich als Amüsement und Zeitportrait zugleich verstand.Gaby Hartel