Ohne Arbeit keine Arbeitsplätze

■ Karl Pröbsting, Präsident des nordrhein-westfälischen Landesarbeitsamtes, zum „Kombi-Lohn“ und zur „Negativsteuer“

taz: Herr Pröbsting, die Metallarbeitgeber fordern in der aktuellen Tarifrunde von der IG Metall die Zustimmung zu einem sogenannten „Kombi-Lohn“ für Langzeitarbeitslose. Für diese Gruppe sollen die Einstiegstarife gesenkt und der Lohn zum Teil als Einarbeitungszuschuß von den Arbeitsämtern bezahlt werden. Verhindern hohe Einstiegstarife in Deutschland zusätzliche Beschäftigung?

Karl Pröbsting: Nein, das glaube ich nicht. Betriebe stellen dann neue Mitarbeiter ein, wenn es wegen der guten Absatzlage aus betriebswirtschaftlicher Sicht geboten erscheint. Einstellungen erfolgen nicht deshalb, weil man einen Mitarbeiter zu 90 Prozent des Tariflohns bekommen kann. Wenn für den keine Arbeit da ist, wird er auch nicht eingestellt.

Fritz Scharpf hat eine „Negativsteuer“ vorgeschlagen, um weniger produktive Tätigkeiten auch für private Unternehmen rentabel zu machen. Führt das weiter?

Ich halte Scharpfs Ansatz durchaus für erwägenswert. Aber es gibt dabei noch viele ungelöste Fragen. Ein solches Modell könnte geradezu eine Sogwirkung innerhalb Europas auslösen, denn für schlecht qualifizierte arbeitslose Menschen aus anderen EU-Ländern, die hier keine Arbeitserlaubnis brauchen, wäre ein solches Modell unter Umständen weit attraktiver als für inländische Arbeitslose. Man könnte das Scharpf- Modell aber etwas abwandeln, indem man zum Beispiel solchen Arbeitslosen, die schon Arbeitslosen- oder Sozialhilfe beziehen, ein Angebot macht: Ihr könnt zumindest eine Zeitlang die bisher gewährten Transferleistungen weiterbeziehen, wenn ihr schlechter entlohnte Arbeit, beispielsweise in der Landwirtschaft, annehmt.

Sehen sie im industriellen Bereich Chancen, mittels Lohnsubventionierungen neue Beschäftigungsfelder zu erschließen?

Ganz ausschließen würde ich das nicht. Aber daß wir die Arbeitsplätze, die wegen des internationalen Lohngefälles ausgelagert wurden, wieder zurückholen können, glaube ich nicht. Mit den absoluten Niedriglöhnen in der Ukraine, Weißrußland oder der Slowakei werden wir auch bei einer Senkung der Einstiegslöhne nicht konkurrieren können. Diesen Wettlauf sollten wir erst gar nicht versuchen.

Die bestehenden Metall-Tarifverträge sehen für den 1. Oktober eine weitere Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche vor. Gibt es einigermaßen zuverlässige Zahlen, wie viele Arbeitsplätze durch die Abschaffung der 40-Stunden-Woche gesichert oder neu geschaffen wurden?

Es gibt eine Berechnung unseres Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Danach hätte 1994 die Zahl der jahresdurchschnittlich Beschäftigten in den alten Bundesländern um 780.000 niedriger gelegen, wenn die 40-Stunden-Woche noch gegolten hätte.

Viele liberale Ökonomen halten die „solidarische Lohnpolitik“ der IG Metall, die auf eine Erhöhung besonders der unteren Einkommensgrupppen abzielt, für kontraproduktiv, weil Arbeitsplätze gerade dadurch abgebaut würden. Ist da was dran?

Natürlich muß es eine gewisse Lohnspreizung auch als Anreiz zur Weiterqualifizierung geben, aber ich glaube nicht, daß in der Vergangenheit in größerem Umfang dagegen verstoßen und für die Beschäftigung kontraproduktive Einkommensverbesserungen durchgesetzt wurden. Interview: Walter Jakobs