Reimlandschaft mit Pocahontas

Ingrid Cavens Gastspiel in der Bar jeder Vernunft: Lied, Leid, von Brecht inspirierte Divenposen – „Mord“ reimt sich auf „Kennedy Airport“. Bei der Premiere sprang der Funke nicht über  ■ Von Eva Schäfers

Sie singt von Liebesleid, von einem, der Krebs hat, und einem Konzert in Paris, von bizarren Einfällen mit Leder und von Schanghai mit einem „g“, das nicht in der Kehle verschwindet. Lilli Marleen steht sich vor der Kaserne immer noch die Beine in den Bauch, und im flotten Reimwalzer paart sich Mord mit Kennedy Airport. „Besser Rotwein als tot sein“, kräht sie vergnügt. Das Publikum kichert, auch über den balzenden Berliner, der so schön dichtet: „O du Peruanerin, wer wird so blöde sein wie eine Sekundanderin.“

Ingrid Caven gibt wieder ein Gastspiel – in der Bar jeder Vernunft. Viele Texte hat ihr Rainer Werner Fassbinder, mit dem sie einmal kurze Zeit verheiratet war, auf den Leib geschrieben. Eines dieser Lieder spielt im New Yorker Chelsea Hotel, wo sich Dylan Thomas zu Tode soff und Dorothy Parker ihrem Pudel böse Bonmots zuzischte – und trank. „Er tätschelt meinen Hintern“, singt die Caven, „das riecht und das stinkt und das nennt sich Mann.“ Ein Herr neben uns, graumeliert und gepflegt, vergewissert sich, ob er richtig gehört hat. Wen meinte Fassbinder?

Ihr weißgeschminktes Gesicht mit den dunklen Katzenaugen hebt sich scharf vom schwarzen Kleid ab. Jeder weiß, daß Diseusen – so sagt man heute – auf die dramatische Nichtfarbe schwören. Das zwitschern sozusagen die Spatzen vom Pigalle.

Sie tänzelt, schwadroniert mit dem Mikrophon, tremoliert, seufzt und jubiliert. Jay Gottlieb, ihr Pianist, lächelt mild. Die beiden verstehen sich auch ohne Worte. Beim Lied „American Bar“ scheint die Bühne auf einmal leer zu sein. Wo steckt die „Bardame“? Sie hat sich auf den Boden gelegt. Tim Fischer, ein anderer Narziß des Spiegelzeltes, legt sich prinzipiell auf den Flügel – da sieht man ihn besser.

Sie weiß, daß sie den stimmlichen Vergleich mit den ganz Großen, der Piaf und der Dietrich, nicht zu scheuen braucht. Sie inszeniert den großen Ufa-Erfolg der Zarah Leander. „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“, schmettert sie und singt dann, mit normaler Stimme, „von einem Herzen, das mir fehlt“. Das wiederholt sie, ironisch und eindringlich: „von einem Herzen, das mir fehlt“.

Oft macht sie das, die Caven: sie bietet die exaltierte Divapose und legt sie abrupt wieder ab. Sie will nicht sein, sondern zeigen, ganz im Sinn des großen Verfremdungsmeisters, Bert Brecht.

Sie kann doch viel, sehr viel, wieso sprang der Funke nicht über? Das Publikum lauschte, lachte zuweilen, aber blieb verhalten. Vielleicht auch, weil man wegen der wilden Mischung aus Elvis, Fassbinder, Bach und den Hommagen an die Piaf und Dietrich gar nicht mehr wußte, was denn eigentlich ihr Eigenes ausmacht. Übrigens, wissen Sie, was Pocahontas sind?

Noch heute bis zum 12. 2. und am 17./18. 2. jeweils um 20.30 Uhr in der Bar jeder Vernunft