: Zusammenlegung in gottesfürchtige Kleingruppen
■ Im Osten ist die Finanzierung über Kirchensteuern ohnehin Fiktion / Um die leeren Kassen zu füllen, wollen Kirchenleute auch ungewohnte Quellen erschließen
Oh, glücklicher gottloser Osten! Da versetzt die Austrittswelle der kirchlichen Sinnkrise einen gewaltigen Schub, und die Gottesmänner und -frauen in Ostdeutschland können nur abgeklärt lächeln: Kennen wir alles. Vor 40 Jahren trieben die realsozialistisch forcierten Kirchenaustritte die Kirche der DDR in die Rolle einer marginalen gesellschaftlichen Institution. In ihren kleinen Nischen mußten sich die Kirchen zwangsläufig von dem Anspruch verabschieden, Volkskirchen zu sein.
Während sich im Westen auch Nicht-Kirchenmitglieder weitgehend als Christen begreifen, tut die Mehrheit der Ostdeutschen das längst nicht mehr. Deshalb hat die Ost-Kirche jetzt auch nicht so sehr über Austritte zu klagen. Denn auszutreten gibt es ohnehin nicht mehr viel: Fast 80 Prozent der Ostdeutschen gehören seit eh und je keiner Kirche an. Eine Finanzierung fast ausschließlich über Kirchensteuern, wie es seit der Wiedervereinigung festgelegt ist, ist für die ostdeutschen Gemeinden daher schon heute bloße Fiktion.
Dennoch steckt auch die ostdeutsche Kirche in einer Sinn- und vor allem in einer Finanzkrise. Derzeit schießt allein die evangelische Kirche (West) jährlich mehr als eine halbe Milliarde Mark zur Aufrechterhaltung der Kirche (Ost) zu. 1996 läuft diese Subventionierung aus. Dann, so fürchten Experten, steht die ostdeutsche Kirche finanziell noch schlechter da als zu DDR-Zeiten. Vor diesem Hintergrund hat jetzt eine Gruppe von zwölf ostdeutschen Theologen Veränderungsvorschläge für eine neue Kirchenstruktur und -finanzierung erarbeitet, von denen sich die Verfasser Denkanstöße auch für die westdeutschen Landeskirchen erhoffen. Unter dem eher zweckoptimistischen Titel „Minderheit mit Zukunft“ finden sich Reizworte und Selbstkritik: Davon, daß die Kirche „das Monopol auf Frömmigkeit und Sinnorientierung längst verloren hat“, ist die Rede, daß sie sich „aus der Nische auf den Markt“ bewegen müsse und daß sich eine „Jeder-für-sich- und eine „Beamten-Mentalität“ breit gemacht hätten.
Um dem „vorprogrammierten finanziellen Notstand“ entgegenzuarbeiten, schlagen die Kirchenleute u.a. vor, in Landstrichen mit starker „Ausdünnung“ das Prinzip der selbständigen Kirchengemeinden aufzugeben. Statt dessen müßten regionale Arbeitsgemeinschaften zwischen einzelnen Gemeinden geschaffen werden, zu denen sich dann auch andere themen-, personen- oder sozialethisch orientierte Gruppen zuordnen könnten. Die Kirche soll zwar möglichst im Dorf bleiben, aber der Ortsgemeinde könne „nicht länger eine exklusive Rolle zukommen“.
Teilzeitjobs und ein Solidaritätsfonds
Nicht nur den einzelnen Gemeinden wollen die ostdeutschen Theologen an die Besitzstände, sondern auch den kirchlichen Würdenträgern selbst. Sie plädieren dafür, den Beamtenstatus für PfarrerInnen abzuschaffen, weil der zwar Unabhängigkeit verspricht, aber auch zu „Trägheit und zum institutionellen Konservativismus verleitet“. Außerdem begünstige sie dieser Status gegenüber den übrigen kirchlichen MitarbeiterInnen. Nicht einzusehen sei außerdem, daß PfarrerInnen für ihre kirchlichen Wohnungen und ihre Altersversicherung nicht bezahlten. Auch sollten angesichts der Finanzkrise kirchliche Gehälter „der Finanzsituation der Kirche angepaßt“ und gemäß der wirtschaftlichen Entwicklung an einer Obergrenze festgeschrieben werden. Das kircheninterne Lohngefälle müsse angeglichen werden. Mehr Teilzeitarbeit, notfalls auch die Möglichkeit zu einem Nebenjob fordern die ostdeutschen Kirchenleute, außerdem die Einrichtung eines Solidaritätsfonds, der den Bestand sonst nicht mehr finanzierbarer kirchlicher Arbeit sichert.
Um die leeren Kassen zu füllen, stellt das Thesenpapier die „Erschließung neuer und ungewohnter Finanzierungsquellen“ zur Diskussion: Spendensammlungen für bestimmte Projekte, ein Kirchengeld für all die Gemeindemitglieder, die als Rentner, Arbeitslose oder Niedrigverdiener von der Kirchensteuer befreit sind, Beiträge für diejenigen, die eine vom Staat eingezogene Kirchensteuer aus Prinzip ablehnen, aber dennoch einen direkten Zuschuß an ihre Kirchengemeinde zahlen würden. Vor allem aber – frommer Wunsch – will man Aktivisten für die ehren- und nebenamtliche kirchliche Arbeit werben, auch unter denen, die sich nicht zur Kirche bekennen. Ob all diese Vorschläge ausreichen, die riesigen Löcher in den Klingelbeuteln zu stopfen? Weiß Gott. Vera Gaserow
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