■ Was Kirchenaustritte allein nicht bewirken konnten - eine Grundsatzdiskussion über Ziele und Aufgaben der Institution -, das schafft das liebe Geld ohne Müh: In der Kirche ist der Verteilungskampf...
: Kirche in den Zeiten der Schwindsucht

Was Kirchenaustritte allein nicht bewirken konnten – eine Grundsatzdiskussion über Ziele und Aufgaben der Institution –, das schafft das liebe Geld ohne Müh: In der Kirche ist der Verteilungskampf um spärlich werdende Mittel ausgebrochen.

Kirche in den Zeiten der Schwindsucht

„Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst“, schrieb der Apostel Paulus an die Philipper. Schlichter gesagt: Zankt euch nicht um Geld und Pfründe! Das klingt schön fromm, hat aber mit kirchlicher Realität nicht viel zu tun. Die Mitglieder schwinden, die Steuereinnahmen sinken, die Botschaft heißt: Sparen. Und wo es ums Geld geht, hört es mit dem Evangelium meist auf. In der Kirche ist der Verteilungskampf ausgebrochen.

„Das spürt man überall“, sagt Volker Gilbert aus der Hamburger Bischofskanzlei, „die Stimmung ist schlecht.“ Die Nordelbische Kirche – in Hamburg und Schleswig- Holstein 2,5 Millionen Mitglieder – ist eine der 24 evangelischen Landeskirchen der Republik. An diesem Wochenende tagt ihre Synode, das Kirchenparlament. Auf dem Programm steht der Haushaltsentwurf für 1995. Mit 721 Millionen Mark aus Kirchensteuern müssen die Nordelbier 1995 wirtschaften. 1992 waren es noch 743 Millionen. Zum ersten Mal hat der Haushalt eine Deckungslücke. 3,5 Millionen Mark fehlen. Gespart muß werden. Aber wo?

Vor allem beim Personal. Rund 18.000 Menschen sind bei der Nordelbischen Kirche haupt- und nebenamtlich beschäftigt. Bis 1997 soll jede zehnte Stelle gestrichen werden. „Entlassungen wird es nicht geben“, behauptet Kirchenamtspräsident Klaus Blaschke. Doch der Verband Kirchlicher Mitarbeiter (VKM) wappnet sich. „Natürlich erhöht sich der Druck“, erklärt deren Ehrenvorsitzender, Klaus Boseck, „das werden wir nicht mitmachen.“ Sparen sei notwendig, aber nicht bei den MitarbeiterInnen. Auch Lohnkürzungen will der Verband nicht hinnehmen. Als einzige Landeskirche hat Nordelbien Tarifverträge. Zwar dürfen kirchliche Mitarbeiter nicht streiken – es gibt eine Zwangsschlichtung, deren zweiter Schiedsspruch anerkannt werden muß –, aber wenn der Arbeitgeber die Tarife angreifen will, muß er vorher einen „Tarifvertrag in Notlage“ verabschieden. Vor diesem Schritt wird er sich lange hüten.

Doch das Hauptproblem liegt woanders. Die Kirche ist nicht nur in einer ökonomischen, sondern vor allem in einer Sinn- und Selbstverständniskrise. Was macht die Kirche aus? Welche Prioritäten sollen gesetzt werden? Vorbei ist's mit der Volkskirche im Sinne einer Identität von Volk und Kirche. Vorbei mit der selbstverständlichen Kirchenzugehörigkeit. Das Bedürfnis nach Religiosität hat bei den Deutschen zwar nicht abgenommen, aber immer weniger lassen sich ihre Glaubensfragen von den Institutionen beantworten.

Die Finanzkrise offenbart eine Krise der alten Strukturen. Was Kirchenaustritte allein nicht bewirken konnten – eine Grundsatzdiskussion über Ziele und Aufgaben –, schafft das Geld mühelos. „Die derzeitige Spardiskussion nötigt uns dazu, unsere Arbeit auf den Prüfstand zu stellen und inhaltliche Prioritäten zu setzen“, stellt die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen fest. „Ein wichtiges Kriterium wird dabei die Frage sein, inwieweit wir dem ureigenen Auftrag der Kirche nachkommen.“ Das ist so wahr wie umstritten. Denn was ist der „ureigene Auftrag“, das „Eigentliche“ der Kirche? In den fetten Jahren konnten sich die Kirchenleute problemlos auf zwei Schwerpunkte einigen: auf „Wort und Tat“, sprich: auf Verkündigung und Diakonie. Doch kaum sind die mageren Jahre angebrochen, gibt es massive Spannungen zwischen beiden Fraktionen. „Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ predigen die Verkündiger und klammern sich an den Gottesdienst als das „Eigentliche“. Die Sozialarbeit im diakonischen Bereich ist ihnen zu säkularisiert an der Gesellschaft orientiert.

„Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan“, halten die Vertreter der Diakonie dagegen. Sie schlagen vor, Geld zu sparen, indem weniger Pfarrer eingestellt und Gemeinden zusammengelegt werden. 6.000 Mark koste jeder Gottesdienst, rechnen sie vor. Doch das sind Zahlen, die von offizieller Kirchenseite niemand bestätigen kann – oder will.

Zu teuren Sündenböcken werden der administrative Bereich, die Publizistik und die Bildungsarbeit. Auch hier wehren sich die Betroffenen. Argument: Wenn die Institution an ihrem Erhalt interessiert sei, brauche sie Vermittlungsinstanzen in die Gesellschaft. Unter Druck geraten auch Seelsorge und Beratung. Denn was hier an konkreter Arbeit, zum Beispiel der Krankenhausseelsorge, geleistet wird, ist nur schwer vermittelbar. „Der Aggregatzustand in der Kirche verändert sich“, resümiert der Hamburger Stadtpfarrer Sebastian Borck. „Wenn früher jemand eine Stelle hatte, konnte er in Ruhe seine Arbeit machen. Heute muß er permanent Kompetenz und Legitimation nachweisen – nach innen und außen.“ Die Kirche sei momentan zu sehr „mit sich selbst beschäftigt“, die Gelddiskussion mache „so atemlos, daß die Orientierung verlorengehen kann“.

In Nordelbien will sich niemand so recht entscheiden, welchem Bereich der Geldhahn zugedreht werden soll. Gekappt wird überall. Nur noch eine Million Mark wird verbaut – statt zehn Millionen im letzten Jahr. Und bevor die Kirchenkreise und Gemeinden ihren Anteil vom Steuerkuchen bekommen – das waren früher 70 Prozent der Einnahmen –, werden 183 Millionen für feste Ausgaben vorweg abgezogen.

Auf Dauer wird auch bei der Spardiskussion in der Kirche der Stärkere gewinnen, die cleverere und machtvollere Lobby. „Das ist der Lauf der Welt“, bedauert Oberkirchenrat Gerd Heinrich vom Kieler Kirchenamt. „Und so kennen wir das in der Kirche auch, obwohl es unter uns bekanntlich so nicht sein soll.“ Und wie wird sich Kirche unter dem Spardiktat verändern? Jörg Herrmann, Hamburger Öffentlichkeitsarbeiter: „Ich sehe die Gefahr eines fundamentalistischen Schubs im Unternehmen Kirche.“ Bascha Mika