„Hoho, da kochen wir mit ab!“

■ Rosemarie und Hans Fricke gehören zum Urgestein der Bremer „Naturfreunde“ / Ein Ständchen zum Hundertsten des „Touristenvereins“

Willy Brandt war drin, Scharping ist drin, Leber war drin, Ex-Senator Herbert Brückner ist auch drin, sogar als Umweltreferent. Rosemarie und Hans Fricke sind sowieso drin. Die Rede ist vom Touristenverein Die Naturfreunde. Breiten Bevölkerungsschichten ist dieses traditionsreiche Stück Arbeiterbewegung durch die jugendherbergsähnlichen Naturfreundehäuser und die müpfige Naturfreundejugend bekannt. In diesem Jahr haben die Naturfreunde Geburtstag. Genau einhundert Jahre werden sie alt. Wer hätte das damals in Wien gedacht?

Ende des letzten Jahrhunderts ging es auch dem Wiener Proletariat nicht rosig. Wenig Geld, harte Arbeit, 11-Stunden-Tag, finstere Wohnverhältnisse. Da hatten bergsteigende Arbeiterfreunde die Naturfreunde-Idee: Hinaus mit den Arbeitern aufs Land, ins Frische, in die Natur. Dazu wurden an immer mehr Stellen Häuser gebaut, Naturfreundehäuser eben. Programmatisch standen die Naturfreunde natürlich immer für Frieden, internationale Freundschaft und Sozialismus.

1926 wurde in Hamburg Hans Fricke geboren. Unter den Nazis kam er in die Schule, mit 16 in den Reichsarbeitsdienst, mit 17 freiwillig in den Krieg. „Ich kannte ja nichts anderes als den Nationalsozialismus.“ Ein Schuß durch den Daumen beendete für ihn den Krieg. Später traf er einen Ami, der „Weltbürgerpässe“ verteilte. „Nie wieder Krieg,“ sagte Hans Fricke und ließ sich zum Weltbürger machen. Eines Tages, 1946, bummelten er und ein Freund mit einem Paddelboot auf der schleswig-hosteinischen Seenplatte herum, da sahen sie eine Rauchsäule. „Hoho, da wird abgekocht, da kochen wir mit ab,“ sagten sie sich und gesellten sich hinzu.

Am Lagerfeuer wehte eine rote Fahne, darauf Alpengipfel, Alpenblumen und sich umfassende Hände. Drumherum saßen sieben junge Naturfreunde aus Bremen. Unter ihnen eine Rosemarie Zscherp. Zelten, Natur erleben, raus aus den Trümmern, Urlaub ohne Geld – das hieß damals Naturfreund sein. Zur Klampfe wurden die „Wilden Gesellen“, die „Fürsten in Lumpen und Loden“ und „Wir sind jung, die Welt ist offen“ geschmettert. Sechs Jahre später hieß Rosemarie Zscherp Frau Fricke.

Emmilie Zscherp war eine durch und durch sozialistische Bremer Familie gewesen. Der Vater natürlich Buchdrucker, später hauptamtlicher Gewerkschafter. Die Eltern praktisch schon immer Naturfreunde; doch 1933 wirde die Organisation von den Nazis verboten. Gleich nach dem Krieg aber bekam Mutter die Mitgliedsnummer 3 der neuen Bremer Naturfreunde. Außerdem war sie die erste SPD-Frau in der neuen Bürgerschaft. Aus solchem Stall kam Rosemarie.

Rosemarie (Jg.27) erklärte Hans die NS-Zeit und überzeugte ihn von der Verlogenheit der NS-Propaganda. Heute müssen sie darüber lachen, aber damals stritten sie sich auf Zeltfahrt zum Beispiel über den Pazifismus. Einmal erwischte Hans seine Pazifistin, wie sie sich mit einem Klappspaten bewaffnet zum Schlafen gelegt hatte. Das hat er gleich fotografiert. Auf einer gemeinsamen Naturfreundereise in die Alpen trat Hans in den „Touristenverein“ ein. Wenig später wurde Hans Fricke Bremer Ortsgruppenvorsteher.

Den größte Triumph aller Zeiten feierte die norddeutsche Naturfreundearbeit (und die Frickes) 1957 im Zusammenhang mit einer nassen Stelle im Nordseewatt, wo sich alljährlich unzähliche Brandgänse aus ganz Nordeuropa trafen, um die Mauser zu begehen. Als die Briten sich diesen unter dem Namen „Knechtsand“ bekannten Paltz als Bombenabwurfplatz auswählten, gingen Vogelfreunde und Fischer auf die Barrikaden. Die Bremer Naturfreunde gingen mit. Hans Fricke, inzwischen ganz Pazifist geworden, sagt heute: „Mein Motiv damals war: Den Militärs wischste mal eins aus.“ Doch neben seinem affektiven Antimilitarismus entdeckte der Naturfreund, „wie die Ökologie dazukam“. Die Knechtsand-Kämpfer eroberten mit ihrer Wattbesetzung einen Spiegeltitel. Zwei Jahre später waren die Tommies verschwunden.

Ende der Sechziger ließ sich auch Hans Fricke einen Rauschebart stehen, sein Markenzeichen bis heute (nur inzwischen ganz weiß). Ach ja, die Ostermärsche! Kampf gegen Wiederbewaffnung, gegen Atomwaffen, gegen Atomkraft. All die Bewegungen, in denen die Naturfreunde ohne jede Berührungsangst Seit' an Seit' mit Kommunisten und Christen mitmarschierten. Die beiden Alten müssen ein wenig stöhnen, wenn sie am die vielen verpufften, deprimierenden Erfahrungen denken. Einmal noch landete Rosemarie Fricke, und da flackert Stolz in ihren Augen, in einem Londoner Gefängnis, weil sie zusammen mit anderen Naturfreunden in Green-Peace-Manier ein Transparent an die Tower-Bridge gehängt hatte. Um 17 Uhr gab's Tee, dann waren sie alle wieder frei.

Die Bewegungen kommen und gehen, was bleibt, ist die Natur. Das hat etwas Tröstliches. Solange man was tut für sie. Hans Fricke war lange im Landes- und Bundesvorstand, Rosemarie ist heute noch Referentin für Kultur und Bildung. Er macht eine bißchen Pressearbeit, sie Gartenarbeit. Eine Gruppe Naturfreunde hat nämlich einen Gemeinschaftsgarten am Hulsberg, selbstverständlich öko. Sie engagiert sich in der innerstädtischen Nisthilfe. Leider kann sie wegen einer Rückensache nicht mehr wandern, aber er. Zum hundertsten Geburtstag der Naturfreunde plant auch die 600-köpfige Bremer Gruppe etliche Aktivitäten, unter anderem Baumpflanzaktionen und Citybegrünung.

Sind die Naturfreunde immer noch, wie es auf vielen Verlautbarungen steht, Sozialisten? Mit dem Ziel „demokratischer Sozialismus?“ Da huscht etwas Kämpferisches über Hans Frickes Züge, er erinnert sich an die internen Debatten, ob der Sozialismus drin bleiben soll im Programm oder rausfliegen. „Er ist laut Mehrheitsbeschluß in der Satzung und bleibt auch drinne!“ So. Basta. Aber: „Sozialismus ist anders, als was wir erlebt haben.“ Irgendwelche Leute haben mal von den Naturfreunden als den „Rotgrünen“ gesprochen, die „ein ökologisches Frühwarnsystem der Arbeiterschaft“ seien. Diese Formulierung gefällt ihm.

Burkhard Straßmann