Wagen 54 hat sich gemeldet Von Ralf Sotscheck

Wagen 54 hat sich endlich wieder gemeldet – aus dem Londoner Eastend. Die älteren unter den taz- LeserInnen werden sich vermutlich an die wunderbare US-amerikanische Fernsehserie „Wagen 54... bitte melden“ erinnern, in der zwei höchst dämliche Polizisten die Hauptrolle spielten.

Das war in den sechziger Jahren. Inzwischen sind die Nachfahren der legendären Deppen auf Streife in Tower Hamlets im Osten der englischen Hauptstadt aufgetaucht – oder genauer gesagt: Sie stehen zur Zeit wegen einer detektivischen Meisterleistung vor Gericht, die den Spürsinn ihres kokainschnupfenden Landsmanns Sherlock Holmes glatt in den Schatten stellt.

Die Geschichte begann mit einem anonymen Anruf bei Lee St. Rose, dem Manager der „Flying Scud“-Kneipe in Hackney. Der Anrufer behauptete, daß ein paar Männer, die kurz zuvor eine Schlägerei in dem Pub angezettelt hatten, sich zur Zeit im „King's Arms“ in der Bow Street betrinken würden. St. Rose und sein Freund Michael Hamill, die gerade zum Joggen in den Park wollten, fuhren statt dessen mit dem Auto in die Bow Street. Auch die Polizei hatte einen anonymen Anruf erhalten: Angeblich planten zwei bewaffnete Gangster, das „King's Arms“ zu überfallen. So stellte man eine Zivilstreife zur Beobachtung des Pubs ab. Als St. Rose und Hamill auftauchten, zählten die Polizisten eins und eins zusammen – und kamen auf drei. Die beiden Jogger hatten im „King's Arms“ keine bekannten Gesichter entdeckt und wollten nun ihr Fitneßprogramm im benachbarten Park absolvieren. Die Polizisten folgten ihnen mit dem Auto. Unglücklicherweise hatte der Fahrer die Breite des Fußweges überschätzt, so daß der Streifenwagen mit einer Parkbank kollidierte. Der Beifahrer sprang mit gezogener Waffe aus dem Wagen, um die vermeintlichen Räuber zu erschrecken. Im selben Augenblick fiel ein Schuß. Der Polizist brach mit einer Kugel im Bein zusammen, rappelte sich aber wieder auf und humpelte erstaunlich behende hinter den fliehenden Joggern her. Die Jagd durch die schmalen Straßen des Eastend dauerte fast eine Stunde, während der Polizist unaufhörlich auf die Flüchtenden feuerte – mit Erfolg: Er traf St. Rose drei Mal in den Arm und durchschoß ihm aus dreißig Meter Entfernung das Ohr. Zu guter Letzt gelang es dem Amateur-Tell, die beiden Jogger zu überwältigen. Sie waren unbewaffnet. Es stellte sich heraus, daß der Polizist sich in der Aufregung selbst ins Bein geschossen hatte.

Um die Blamage in Grenzen zu halten, veranlaßten die Polizisten eine Razzia im „Flying Scud“, was die Sache freilich nur noch schlimmer machte. Ein Dutzend Beamte, in voller Kampfmontur und mit Maschinenpistolen bewaffnet, durchsuchten die Kneipe mit Schäferhunden und präsentierten am Ende stolz ein Betäubungsgewehr. St. Rose und Hamill wurden wegen unerlaubten Waffenbesitzes und versuchten Raubüberfalls angeklagt. Die Geschworenen amüsierten sich köstlich über den Fall und bescheinigten den Ordnungshütern einstimmig, das Betäubungsgewehr selbst in der Kneipe versteckt zu haben. St. Rose und Hamill kamen frei, waren inzwischen jedoch arbeitslos. Sie haben die beiden Polizisten auf Schadensersatz verklagt. Bis zum Urteil bleibt Wagen 54 in der Garage.