■ Beim letzten Vorbereitungstreffen vor dem Klimagipfel in Berlin diskutieren ab heute in New York rund 400 Delegierte von Regierungen, Umweltverbänden und Industrie über CO2-Emissionen und Energiesteuern...
: Nacktschnecken mit Sonnenöl

Beim letzten Vorbereitungstreffen vor dem Klimagipfel in Berlin diskutieren ab heute in New York rund 400 Delegierte von Regierungen, Umweltverbänden und Industrie über CO2-Emissionen und Energiesteuern – ein bißchen spät.

Nacktschnecken mit Sonnenöl

Jetzt tagen sie wieder, die internationalen Klimaexperten. Zwei Wochen lang werden 400 Delegierte in New York den großen Durchbruch in der Klimadiskussion herbeidiskutieren – erreichen werden sie ihn nicht. Daß aber schnelle Ergebnisse nötig wären, daran kann kein Zweifel mehr bestehen.

Die deutschen Forscher wurden vor ihrer Abreise vor allem mit den Fluten des Rheins konfrontiert. Egal, ob Jahrhunderthochwasser, -sommer oder -orkan. Die Gretchenfrage ist immer dieselbe: Ist das schon die Klimakatastrophe? Auch die Antworten sind bekannt: „Wir wissen es nicht genau, aber wenn sich der Trend fortsetzt ...“ Der Trend hat sich fortgesetzt, und wir sind trotzdem nicht viel schlauer. Nur die Versicherungswirtschaft spricht ungeschminkt von „katastrophalen Konsequenzen des Treibhauseffekts“.

Fünf Jahre vor dem neuen Jahrtausend produzieren Atmosphären- und Ozeankundler, Biologen und Mathematiker zwar emsig Studien, aber keine Gewißheiten. „Niemand weiß, wie stark sich das Klima wirklich ändern wird“, bestätigt Christopher Flavin von World Watch. Doch dieser Zweifel bedeutet auch, daß die globale Temperatur sehr viel schneller, der Meeresspiegel sehr viel höher steigen und damit alles schlimmer kommen kann als prophezeit.

In der Klimadebatte dominieren indes andere Zweifel. Forscher wie Richard Lindzen, Fred Singer und Chauncey Starr (alle USA) behaupten noch immer, daß „die wissenschaftliche Basis für die These der globalen Erwärmung durch Treibhausgase zu ungewiß ist, um dramatische Maßnahmen zu rechtfertigen“. Lindzen und Kollegen kritisieren die Computermodellierung des Weltklimas als stümperhaft. Die Klimakatastrophe, spotteten sie, werde sich in einer milden Temperaturerhöhung erschöpfen.

In der wirtschaftlichen Rezession waren die Argumente der Skeptiker hochwillkommen als Alibi fürs Nichtstun. Übersehen wurde dabei, daß die Klimawissenschaft in den letzten fünf Jahren ihre Grundpositionen entscheidend festigen konnte. Als wissenschaftlich harte Zahl gilt jetzt die globale Temperaturerhöhung um drei Grad (Schwankungsbreite zwei bis fünf Grad) bis zum Jahr 2100. Bereits in diesem Jahrhundert wurde ein Plus von 0,6 Grad gemessen. Bei einem Anstieg um ein Grad würde „in Deutschland mediterranes Klima herrschen“, so Manfred Stock vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. Ebenfalls bestätigt sind:

– der Anstieg des Meeresspiegels um mindestens dreißig Zentimeter bis 2100

– die Verstärkung der monsunartigen Zirkulation mit einer Zunahme der Stürme und Umverteilung der Niederschläge

– die Verstärkung der Klimaextreme mit heftigeren Dürreperioden und sintflutartigem Regen.

Zugleich stießen die Forscher in den letzten fünf Jahren aber auf eine größere Komplexität der Klimaprozesse, die neue Fragen aufwarfen und zu Korrekturen führten. Den Kenntnisstand hat das Internationale Klimapanel IPCC im November zusammengefaßt. Wichtigste Befunde:

– der Ausbruch des Vulkans Pinatubo im Juni 1991 hat riesige Mengen an Aerosolen in die Atmosphäre geschleudert und zwei Jahre lang zu einer Abkühlung der Erdoberfläche um 0,4 Grad geführt

– andere Aerosole, vor allem Schwefeldämpfe und Partikel aus der Waldrodung, „maskieren“ ebenfalls den Treibhauseffekt. Sie führen regional zu einer Abkühlung, die 0,1 bis 0,2 Grad ausmachen kann

– die Gefährlichkeit der meisten Klimagase, vor allem des Methans, wurde deutlich unterschätzt; ihr Treibhauspotential ist zehn bis dreißig Prozent höher als angenommen. Das Methan entspricht etwa einem Drittel des CO2-Potentials.

– weitere Klimagase müssen einbezogen werden, darunter viele Halone und Hydrochlorfluorkarbonate.

Erschütternde Berechnungen hat das IPCC zur Frage der CO2- Stabilisierung vorgelegt. Zunächst wurde festgestellt, daß der CO2- Anstieg in der Atmosphäre in den Jahren 1992 und 1993 eine Pause einlegte. Und niemand weiß warum. 1994 hat sich die Zunahme wieder beschleunigt. Die CO2- Konzentration liegt gegenwärtig bei 346 ppm (parts per million) gegenüber 280 in vorindustrieller Zeit (plus 25 Prozent). Die Forscher rechnen mit einem weiteren Anstieg für wenigstens 200 Jahre. Um den CO2-Gehalt irgendwann bei 400 bis 700 ppm konstant zu halten, müßten die Emissionen auf den Stand der sechziger Jahre gesenkt werden.

Entscheidende Fortschritte gelangen zuletzt bei der Modellierung. Neuerdings arbeitet das international führende Max-Planck- Institut für Metereologie in Hamburg mit Modellen, die eine sogenannte Maschenbreite von 250 Kilometern statt bisher 500 gestatten, so MPU-Ozeanforscher Ernst Maier-Reimer. Die Welt wird bei dieser Betrachtung in Quadrate von 250 Kilometer Länge aufgeteilt.

Detailaussagen für Europa zu treffen bleibt dennoch schwierig. Entscheidende Unbekannte ist der Golfstrom. Der Temperaturanstieg durch Treibhausgase könnte teilweise wettgemacht werden, wenn der Golfstrom an Antriebsenergie verliert. Die klimatische Kette: Schmelzen die arktischen Gletscher, sinkt der Salzgehalt des Nordmeeres, dadurch erhält der Golfstrom weniger Schubkraft und transportiert weniger Wärme nach Europa.

Während die Grundlagenforscher weiter an ihren Modellen tüfteln, haben die Klimafolgenforscher die Erwärmung längst vollzogen. Ihre Disziplin erlebt den eigentlichen Aufschwung. Wie verändert sich der Maisanbau in der argentinischen Pampa? Welche neue Vegetation wächst in der sibirischen Tundra? Alles schon erforscht.

Nackteulen werden mit Sonnenöl eingeschmiert, um die Effizienz heutiger Produkte bei größerem Ozonloch zu testen. Klee, Bohnen, Hirse und Zuckerrohr werden mit CO2 begast, um ihr Wachstum in harten Zeiten zu testen. Das Absterben der europäischen Amphibien, das Vorrücken der Malaria – in den Computern ist das längst passiert.

Und neue Kontroversen sind aufgetaucht. Werden die Pflanzen vom CO2-Überangebot gedüngt und damit schneller wachsen? Einige Arten sicherlich. Sie werden anderen den Lebensraum streitig machen. „Möglicherweise werden viele heutige Wälder verschwinden und einem Krautbewuchs Platz machen“, glauben die Harvard-Forscher Fakhri Bazzaz und Eric Fajer.

Während immer mehr Detailbefunde des Klima-GAUs ans Licht kommen, wächst die Kritik an der Einzelbetrachtung, bei der das Gesamtbild verloren geht. Betroffen von der Klimaverschiebung ist indes die gesamte Zivilisation, die, so Hartmut Graßl, UN- Chefkoordinator für Klimaforschung, im nächsten Jahrhundert mit Klimawerten und Wetterextremen konfrontiert ist, „die die Menschheit noch nie erlebt hat“. Manfred Kriener