Die Nato wirft den Blauhelm hin

■ Nato-Generalsekretär Claes: „Wir wollen nicht länger Subunternehmer der UNO sein“

München (AP/taz) – Die Tagesparole der Nato am gestrigen Sonntag hieß: „Nie wieder UNO.“ Nach den Erfahrungen im Bosnien-Krieg werde man Aufträge der Vereinten Nationen nur noch übernehmen, wenn die Nato bei der militärischen Ausführung freie Hand hat. Diese Position vertraten am Wochenende bei der Münchner Konferenz über Sicherheitspolitik sowohl Nato-Generalsekretär Willy Claes als auch die Verteidigungsminister Perry (USA) und Rühe (BRD).

Die frühere Begeisterung der Nato, sich der UNO als militärischer Arm anzudienen und sich so einen neuen Aufgabenbereich zu schaffen, ist mittlerweile einem umfassenden Frust gewichen. Nato-Generalsekretär Willy Claes nannte den bisherigen Einsatz in Bosnien ein eindrucksvolles Beispiel für nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten und Fähigkeiten des Bündnisses. Der traditionelle Ansatz der UN – Friedenswahrung bei Wahrung der Unparteilichkeit – sei mit dem Anspruch der Nato auf direkte und wirksame Aktion nicht in Übereinstimmung zu bringen. Künftige Mandate müßten klar definiert sein und die Autonomie der Nato respektieren.

William Perry nannte die im Falle Bosnien praktizierte Kommandostruktur der „zwei Schlüssel“ – detaillierte Anforderung jeder Militäraktion durch die UN und Ausführung durch die Nato – schlicht einen Fehler. Diese Verletzung des militärischen Grundsatzes, Kommando und Kontrolle zu vereinigen, habe der Nato ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit gekostet.

Bereits am Tag zuvor hatte Bundesverteidigungsminister Volker Rühe freie Hand für die Nato bei der Erfüllung von UN-Aufträgen verlangt. Das Bündnis könne nicht nur ein Ausführungsorgan anderer sein, dessen Wirksamkeit unbefriedigend bleibe. „In Zukunft sollte die Nato nur im Auftrag der Vereinten Nationen handeln, wenn sie ihre Kräfte und Mittel ungehindert entfalten kann.“

Zweiter Schwerpunkt der Konferenz waren Umstände und Zeitpunkt der Osterweiterung der Nato sowie das Verhältnis des Bündnisses zu Rußland. Perry rief Rußland auf, die Nato nach dem zu beurteilen, was sie heute sei, und nicht nach ihrer Rolle während des Kalten Krieges. „Die Nato ist keine Allianz gegen Rußland“, versicherte er. Perry schlug vor, als formale Struktur für die Beziehungen zwischen Nato und Rußland eine ständige Kommission einzurichten.

Die beiden deutschen Minister Rühe und Kinkel betonten, Nato- und EU-Erweiterung noch Osten müßten Teile eines einheitlichen Konzeptes sein. Rühe betonte allerdings, man müsse auch berücksichtigen, „daß sicherheitspolitische Voraussetzungen wahrscheinlich eher erfüllt sind als die ökonomischen Standards“.

Der britische Verteidigungsminister Malcolm Rifkind warnte davor, zwischen Nato, Rußland und den anderen osteuropäischen Staaten ein sicherheitspolitisches Vakuum entstehen zu lassen. Ähnlich argumentierte der tschechische Außenminister Josef Zieleniec: Je größer dieses Sicherheitsvakuum, desto größer die Gefahr für Europa, da der Leerraum „von anderen Interessenstrukturen ausgefüllt“ würde. Sein ungarischer Amtskollege László Kovács begründete den Wunsch, Nato-Mitglied zu werden, mit der Bemerkung, daß es anders keine Sicherheit für sein Land gebe. JG Kommentar Seite 10