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■ Im Rathaus Schöneberg tummelt sich die Off-Kultur„Hier ist alles vom Feinsten“

Berlin (taz) – Leise klirren die Designer-Messinglampen, durch den mit Edelhölzern verkleideten Sitzungssaal hallen laute Schreie. Wenn das Berliner Butoh-Tanztheater „Tatoeba“ im Rathaus Schöneberg probt, zeugt vom alten Flair des Hauses nur noch das elegante Mobiliar, mit dem sich einst die Berliner Politprominenz umgab. Seit dem Umzug des Berliner Abgeordnetenhauses in den Preußischen Landtag vor über einem Jahr hat in den ehemaligen Sitzungssälen der Berliner Parteifraktionen die Kultur das Wort. Proben von Sinfonieorchestern, Off- Theatern und selbst African- Dance-Ensembles sind im ehemaligen Sitz der Westberliner Stadtregierung nichts Besonderes mehr.

Über 20 Gruppen nutzen derzeit kostenlos das üppige Platzangebot. „Hier ist alles vom Feinsten“, kommentiert Christine Crecelius vom Büro für dezentrale Kulturarbeit die elegante Ausstattung der Rathausräume. Eine für Tanzproben wichtige Spiegelwand wurde erst kürzlich angeschafft, ein Tanzteppich für einen der Sitzungsräume im Untergeschoß ist bestellt.

Besonders als Übungsort für Politkabaretts ist der große Plenarsaal geeignet. Dort steht noch das Originalmobiliar aus debattenreichen Tagen. Gediegene Rednerpulte vor der riesigen Berliner Stadtfahne fordern zum kreativen Frotzeln geradezu heraus. Allerdings nur noch bis zum kommenden September, denn dann soll der Plenar- zum sogenannten Bürgersaal umgebaut werden. Dancefloor für die Kids und Tanztee für Senioren stehen danach unter anderem auf dem Programm. Spätestens dann sollte sich ein DJ nach dem berühmtesten Besucher des Gebäudes, John F. Kennedy, benennen. Das Rathaus Schöneberg wäre dann gewiß in manchen Nächten der heißeste Diskotip der Stadt.

Daß die Abgeordneten beim Umzug fast alle Ölgemälde mitnahmen, hat sich ein Berliner Künstler zunutze gemacht. Dieter Ruckhaberle, Exleiter der aufgelösten Berliner Kunsthalle, verlieh kurzerhand einen Großteil seiner Bilder an das Rathaus. Das Ergebnis: Fast im gesamten Haus hängen nun schon seit längerem seine Werke. „Wie lange die noch bleiben, weiß keiner so genau“, meint Christine Crecelius und schmunzelt über die Raffinesse des Künstlers, der sich auf die Schnelle sein eigenes Forum geschaffen hat. Ausstellungsmöglichkeiten für andere Künstler gibt es derzeit noch im Lichthof und in den weitläufigen Büroetagen, wo seit dem Auszug der Stadtpolitiker wieder etliche Bezirksbehörden ein Zuhause gefunden haben.

Zu verdanken ist die kreative Umgestaltung des Rathauses vor allem den Berliner Künstlern selbst. Einige von ihnen hatten im September 1993 Teile des damals fast verwaisten Gebäudes besetzt und die Mitnutzung als Atelier- und Kunstraum gefordert. Schließlich willigten die Schöneberger Bezirkspolitiker ein und übergaben die Verantwortung für die drei ungenutzten Säle samt Wandgestaltung an das der Bezirksverwaltung unterstehende Büro für dezentrale Kulturarbeit.

Doch nicht alles, was im Rathaus heute initiiert wird, ist originell. So verschandelt derzeit eine plump aufgemachte Weinwerbeausstellung die historische Brandenburghalle, die als Vorraum zum Plenarsaal dient. „Die Gebäudeverwaltung versucht eben soviel Fläche wie möglich zu vermieten“, vermutet Christine Crecelius und schimpft über die Verunstaltung der 60 Meter langen, mit Landschaftsmalereien verzierten Halle, in der einst die Regierungsmitglieder promenierten. So ist das eben im Jahre fünf nach der Wende: Aus Politikern werden kurzerhand Flaschen. Christine Berger

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