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: Decodierungswust / "Wie wirkt Fernsehen"?

„Wie wirkt Fernsehen“? Sonntag, 3sat, 14.15 Uhr

Es „erregt“ uns. Der Puls läuft schneller, wir schwitzen, der Atem stolpert. „Rücksichtslos“ spielt es mit unseren Gefühlen. Wir verstehen seine Sprache nicht, dennoch können wir nicht von ihm lassen. Wer hätte gedacht, daß das Fernsehen egoistischer und aufreibender sein kann als ein launischer Don Juan?

Die Professorin Hertha Sturm beschäft sich seit über 20 Jahren mit dem enervierenden Verhältnis zwischen Zuschauer und Mattscheibe. Diesmal bekam sie eine Stunde Zeit, um ihre Thesen zu einer „zuschauerfreundlichen Mediendramaturgie“ aufs neue zu erklären. ORF-Moderatorin Pia de Simony überließ der Kommunikationspsychologin kritiklos das Feld, begnügte sich mit zarten Zwischenfragen, die sie als gelehrige Schülerin der Geladenen auswiesen. Wenn die Bilder mit einem Text „zusammentreffen, der nicht meiner inneren Lage entspricht“, erklärt die Fachfrau, erzeuge das „Erregung, Ärgerlichkeit“, emotionalen Streß und eventuell „schlechtes Verhalten“. Während im Straßenverkehr immer eine Halbsekunde zwischen erwartetem Ereignis und seinem Eintreffen liege, zerre im TV ein Schnitt das Publikum von einer „Bettszene zum Eismeer, ohne jede Vorwarnung“. Das Fehlen dieser „Hinweisreize“ (Achtung, jetzt kommt ein Mörder!) mag ja unerhört sein, aber bleibt doch eine gängige Schlamperei, die auch im Kino und andernorts zu bemängeln wäre. Doch Simony nickt zufrieden und schweigt.

Auch der Dauerbrenner „Gewalt und Fernsehen“ ist mit schlichten Reiz-Reaktions-Schemata schnell erklärt. „Wo soll man hin mit seiner ganzen Erregung? Schreibe ich ein Buch zu Ende, oder haue ich dem Nächsten eine rein?“ – so faßt Sturm das Handlungsspektrum der Fernsehnation zusammen.

Es gibt eben Minderbemittelte und Intelligente, wie die Expertin unlängst als Schlagzeile verlauten ließ. Letztere wachsen an der emotionalen Überforderung des Bild-Ton-Decodierungswustes. Dumme geraten dagegen schnell in Krisen. Schon die „Guten-Abend“-Abschiedsworte eines Sprechers bedeuten einen „emotionalen Abbruch“. Hertha Sturm weiß, daß es den Zuschauer nicht gibt, aber sie hat seine Hauptwiderstände jahrelang gemessen. In Gedanken scheint sie die Kabel zwischen TV-Gerät und Testpersonen immer noch nicht herausgezogen zu haben. Birgit Glombitza