■ Die SPD protestiert gegen den Solidaritätszuschlag
: Die Stimmung: schlechter als die Lage

Es ist bezeichnend für die neue Stimmung: Kaum wird der Einkommensverlust durch die Solidaritätsabgabe für jeden sichtbar, hebt das Gestänker bei den Sozialdemokraten an. Der Solidaritätszuschlag behindere den Aufschwung, weil er die Kaufkraft schwächt, argumentiert die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier. Der Solidaritätszuschlag sei verfassungswidrig, weil bei der Bemessungsgrundlage nicht das Kindergeld berücksichtigt werde, sagt der stellvertretende SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine. Die Sozialdemokraten sind zwar nicht die einzigen, die gegen den Zuschlag protestieren. Daß aber sie, die sonst das Solidarprinzip besonders hoch hängen, jetzt die Anti-Stimmung gemeinsam mit Bild anheizen, markiert eine Wende: Das Solidarprinzip ist politisch nicht mehr zu vermitteln. Beim Solidaritätszuschlag hört die Solidarität auf.

Nicht mehr zu vermitteln ist, daß die Solidaritätsabgabe fällig wurde, weil der Osten finanzielle Hilfe braucht und auch ein historisches Recht darauf hat. Laut Umfragen wissen viele Westdeutsche nicht einmal, daß auch die Ostdeutschen den Zuschlag zahlen müssen. Nicht mehr zu vermitteln ist auch, daß die Pflegeversicherung jeden Einzahler im Alter schützen soll. Nicht sichtbar ist ferner, daß die Abgaben so ungerecht nicht verteilt sind: Ein Lediger mit Bruttoeinkommen von 3.000 Mark verliert durch die Pflegeversicherung und den Solidarzuschlag 39 Mark. Wer 7.000 brutto hat, bekommt 151 Mark weniger. Damit sollen die Mängel der neuen Solidarkonstruktionen nicht verleugnet werden. Natürlich belastet der Solidaritätszuschlag auch die Arbeitslosen, die ein Einkommen haben (nämlich das Arbeitslosengeld). Natürlich ist die Pflegeversicherung ein Konstrukt, das möglicherweise später auch und vor allem die wohlhabenden Alten vor Vermögensverlust bewahrt. Aber es geht nicht um die sachliche Detaildiskussion. Nein, das Gestänker von SPD, FDP und dem Bund der Steuerzahler hängt sich einfach an die Stimmung einer Mehrheit, die seit Januar über ihren neuen Lohnstreifen muffelt. Die Politik richtet sich eben nicht nach dem großen, sondern vor allem nach dem vielen kleinen Geld.

Das Solidarprinzip ist nicht mehr zu vermitteln, also flüchtet man sich in die Regression. Dazu gehört das Gejammer über die sinkende Kaufkraft. Aber auch die Klischees, wie sie sich in der populären Wirtschaftspresse finden: Theo Waigel wird da zum Taschendieb der Nation. Wohl dem, der da ein paar Steuertricks kennt – dargestellt in besagter Wirtschaftspresse –, mit denen er in diesem räuberischen Land überleben kann. Bleibt nur ein Trost: Es hätte schlimmer kommen können. Welch furchtbares Gejammer einer CDU-Opposition hätte erst angesetzt, hätte die SPD als regierende Partei die neuen Solidarabgaben einführen müssen! Barbara Dribbusch