Im Jahr des Produzenten

Autorenfilmer sind out, „Packaging“ ist in: Ein Gespräch mit Klaus Keil, dem Intendanten des Filmboards Berlin-Brandenburg  ■ Von Christiane Peitz

Klaus Keil (51) ist für die nächsten fünf Jahre Geschäftsführer und Intendant der Filmboard Berlin-Brandenburg GmbH, der ersten länderübergreifenden Filmförder-institution und dem ersten Intendantenmodell. Zuletzt war Keil geschäftsführender Professor der Abteilung Produktion und Medienwirtschaft der Münchner HFF, davor unter anderem Produktions- und Herstellungsleiter sowie in jungen Jahren Regieassistent. Das Filmboard nahm seine Arbeit am 10. August '94 auf, im Dezember zog Keil nach Berlin- Nikolassee um, seit 1. Januar versieht er sein neues Amt als Full- time-Job. Rechenschaftspflichtig ist er gegenüber dem Aufsichtsrat, dem unter anderem Klaus Schütz und Erika Gregor angehören, und den Gesellschaftern, den Investitionsbanken Berlins und Brandenburgs. Das Filmboard hat seinen Sitz auf dem Gelände der Babelsberger Filmstudios, der Jahresetat beträgt 40 Millionen Mark. 1994 wurden knapp 25 Millionen vergeben; von 156 Anträgen wurden bis zum Jahresende 100 entschieden, davon 66 bewilligt. Die höchste Förderumme erhielt mit 4 Millionen Mark der Zeichentrickfilm „Werner“, gefolgt von der „Unendlichen Geschichte“ mit 2,5 Millionen Mark.

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taz: Sie sind vor gut einem halben Jahr als der neue Intendant der Filmboard Berlin-Brandenburg GmbH unter der Devise „Weg vom Gießkannenprinzip, keine Regalfilme mehr“ angetreten. Dafür haben Sie als der neue „starke Mann“ Vorschußlorbeeren und Vorschußkritik eingeheimst. Mittlerweile sind 25 Millionen Mark Fördergelder ausgegeben, seit Januar gehen Sie Ihrer Arbeit als Full-time-Job nach. Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrem Konzept gesammelt?

Klaus Keil: Ich glaube nicht, daß ich der starke Mann bin. Aber man hat sich halt lange die Person gewünscht, die alles kann, die Konsens erzeugt und von der Branche akzeptiert wird. Das Gute am Intendantenprinzip ist: Ein Intendant ist besser als eine Kommission. Endlich hat man jemanden, der schuld ist. Mittlerweile beginnt unser Konzept zu greifen. Wir haben nach unserem ersten Pressegespräch im August '94 eine ganze Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen ergriffen und die Verleiher, die Drehbuchautoren, die Produzenten, die Fernsehproduzenten, die Berliner, die Brandenburger in Gruppen von 10, 15 oder 18 Leuten zusammengeholt. Die hatten alle eine gewisse Scheu. Die Leute wissen jetzt: Wir sind gesprächsbereit, aber das Filmboard muß überzeugt werden, also du mußt dein Ding verkaufen und du mußt belegen, warum es sich verkauft. Was wir lernen müssen, ist das, was die Amerikaner „Packaging“ nennen. Marketing-Konzept, Rückflußplan, 30% Eigenanteil des Produzenten, Verleihvertrag. Keine Garantie, aber einen Vertrag. Das ist neu, denn Berlin war ja immer verwöhnt mit Subventionen in allen Bereichen.

Das heißt, Leuten mit der richtigen Witterung hilft das Filmboard, die Bilanzen zu lesen?

Nein, das tun wir nicht. Ein Produzent muß das können, oder er kauft sich einen Fachmann dafür. Aber wir reden mit den Leuten, klären auf, und wenn dann der Antragsteller mit seinen ausgefüllten Bögen kommt, wissen wir über das Projekt schon sehr genau Bescheid. Wir möchten auch, daß die Leute nicht sofort Produktionsförderung beantragen für Projekte, die noch nicht ausgereift sind. Einen Antrag zu stellen und nächste Woche drehen zu wollen, ist unseriös für beide Seiten. Natürlich gibt es Projekte unter Zeitdruck, da können wir durchaus innerhalb einer Woche entscheiden. Aber im Prinzip sagen wir: Mach' erst mal eine richtige Buchentwicklung.

Deutsche Filme sind ja meistens zu alt. Da hat einer eine gute Idee, will schnell auf Zeitgeschehen reagieren, aber bis er sich durch den Förderdschungel geschlagen hat, vergehen Jahre, und der Film hat das Verfallsdatum überschritten, bevor er ins Kino kommt. Tragen Sie dem Rechnung?

In jedem Fall. Wir können relativ schnell, flexibel und maßgeschneidert reagieren, denn ich brauche ja keine Kommission zusammenzurufen, die sich nur in gewissen Abständen trifft, die sich einigen muß, die Einreichfristen setzen muß. Wir wissen schon Bescheid, wenn der Antrag kommt. Man schaut noch mal drauf, sieht sich die Kalkulation an, setzt sich einen Abend noch mal dran, ruft am nächsten Tag an und fertig.

Dani Levys neuer Film „Stille Nacht“, der mit immerhin 1,5 Millionen Mark gefördert wird, hat keinen Verleihvertrag, und Sie haben den Antrag trotzdem bewilligt. Wie kommt so eine Entscheidung zustande? Sie haben das Drehbuch lesen lassen ...

Nein, ich habe es selbst gelesen. Ich lese fast alle Bücher. Die eindeutig positiven lese ich wenigstens diagonal, außerdem lese ich die besonders gefährdeten, bei denen sich externe Gutachter und Leute hier im Haus nicht einig sind. Und ich lese die Bücher, die abgelehnt wurden. Dani Levy ist jemand, auf den ich setze. Der hat seine Qualität bewiesen. In diesem Fall denken wir beide, sein Produzent und das Filmboard, daß für einen Verleihvertrag zu einem späteren Zeitpunkt bessere Konditionen zu bekommen sind. Etliche Verleiher haben bereits Interesse angemeldet.

Schaut man sich die Zahlen für 1994 an, bleibt „Stille Nacht“ aber eine Ausnahme. 4 Millionen für „Werner – Der Metülisator“, 2,5 Millionen für „Die Unendliche Geschichte“, 1,5 Millionen für Mark Peploes „Victory“, 880.000 Mark für den Science-fiction-Film „High Command“, außerdem Fördergelder für Hal Hartley und Jim Jarmusch: Alleine im High- budget-Bereich gehen mehr als Zweidrittel der Fördersumme an reine Kommerzfilme oder an amerikanische Produktionen. Die Liste bestätigt die Befürchtungen Ihrer Kritiker.

Großprojekte entstehen nicht über Nacht. Die hatten eine lange Vorlaufzeit, und weil das Filmboard erst im Sommer '94 installiert wurde, gab es einen Stau. Die Großprojekte waren reif und mußten bedient werden. Wir haben auch Verleihförderung für „Asterix in Amerika“ bewilligt. Man kann ja Leute für ihren Erfolg nicht bestrafen. Außerdem dient es der Stärkung der Region. Je stärker deutsche Verleiher sind, desto besser für alle.

Aber müssen es gleich vier Millionen für „Werner“ sein?

Die vier Millionen sind aufgeteilt über drei oder vier Jahre. Wir sind da bewußt so hoch reingegangen, weil wir der Meinung sind, daß sich hier in Berlin-Brandenburg ein Spezialfach Animationsfilm entwickelt. Die Leute kommen aus Hamburg und hätten das auch in Hamburg realisieren können. Vier Millionen und nicht zwei – das war eine arbeitspolitische Entscheidung, ebenfalls zur Stärkung der Region. Da beginnt etwas zu wachsen.

Aber warum müssen es so viele US-Filme sein? Ist deutsche Filmförderung dazu da, amerikanische Produktionen zu finanzieren?

In der Produktionsförderung sind es nur zwei, Hal Hartley und Jim Jarmusch.

Plus „High Command“ und „Hollywood Boulevard“, der spielt in Los Angeles oder Carl Schenkels „Rififi in New York“. Das ist zwar eine deutsche Produktion von Dieter Geissler, aber sie spielt in New York, mit amerikanischen Schauspielern.

Geissler bekommt Projektentwicklung. Wenn diese Filme etwas werden, was wir hoffen, hat das für die Region einen unglaublichen Werbeeffekt und eine internationale Breitenwirkung. Diese erste Statistik ist irreführend. Der nächste Quartalsbericht wird ganz anders aussehen. Keine Großprojekte mehr, erheblich mehr Stoff- und Projektentwicklung und mehr Verleihförderung. Das wird sich verschieben. Die anderen Projekte à la Dani Levy waren entweder gedreht, wie „Burning Life“, oder erst im Entwicklungsstadium. Wir brauchen ein Jahr, bis es wieder eine Kontinuität gibt.

Einerseits betreiben Sie Standortpolitik, andererseits fordern Sie mehr Kooperation zwischen den regionalen Filmförderungen.

Mir liegt am Prinzip der kurzen Wege. Da ich aus der Branche komme, kennen wir uns ja alle, ich saß im Gremium der Bayerischen Filmförderung, ich kenne Dieter Kosslick von der NRW-Filmstiftung. Da ruft man halt an und koordiniert sich.

Aber Sie wollen doch, daß Levy zu Ihnen kommt und nicht zu Kosslick geht, wie er das ursprünglich vorhatte.

Der Kuchen ist groß genug für alle. Filme sollen dort gedreht werden, wo das Buch spielt. Ich bin gegen diesen Reisezirkus. Konkurrenz heißt: Wo ist der attraktivste Standort, von der Kofinanzierungsmöglichkeit und von den locations her. Schließlich stellt sich die Frage: Wo leben die Spielfilmleute dann? Bisher haben sie halt in München gelebt. Aber ich glaube, daß Berlin-Brandenburg das Aufregendste ist, was es derzeit gibt. Filmschaffende brauchen die Lebendigkeit und die Nervosität einer großen Stadt.

Die Kritik am Kleinklein der regionalen Filmförderung wird immer lauter. Gefordert werden Zentralisierung und Internationalisierung, damit das europäische Kino gegen die Übermacht Hollywood überhaupt noch eine Chance hat. Wie stehen Sie als Intendant eines Länderfilmboards zu diesen Vorschlägen?

Es ist keine Frage des Geldes sondern eine der Qualität der Projekte. Es ist auch keine Frage der Konkurrenz unter den Ländern. Wenn es die großen Projekte denn gäbe, könnte man sich über die kurzen Wege wunderbar vereinen. Dann rufe ich Kosslick und Bayern an und sage, wir haben hier „Das Versprechen“ von Margarethe von Trotta, der braucht eine hohe Verleihförderung, der soll mit Dampf in den Markt gehen. Das ist so praktiziert worden, nach einer Woche waren die Anträge genehmigt. Glücklicherweise ist „Das Versprechen“ nun der Eröffnungsfilm der Berlinale und bekam die deutsche Oscar-Nominierung, also da stimmte die Rechnung. Das heißt, Konkurrenz, soweit sie das Geschäft belebt und Zusammenarbeit, soweit es die Größe eines Filmprojekts erfordert.

Die Formulierung würde ich gern übernehmen. Wenn das funktioniert, braucht man nichts Zentrales mehr, keine neue Institution mit neuer Bürokratie, neuen Gremien etc.

Sie sagen, die Zeit des Autorenfilms ist vorbei. Welche Zeit ist jetzt angebrochen?

Die neunziger Jahre sind das Jahrzehnt der Produzenten. In England und Amerika weiß man das, in Deutschland noch nicht, obwohl die Hälfte des Jahrzehnts schon um ist.

In England weiß man es, weil es dort kaum staatliche Filmförderung gibt ...

Sechs Millionen Pfund pro Jahr, das ist unglaublich wenig, und trotzdem blüht dort die Wirtschaft. Was für die Abschaffung der Subventionen sprechen würde. Wie geht man als Subventionierer damit um?

Wir sind keine Subventionierer mit Bittstellern. Wir sind Dienstleister mit Kunden und Partnern. Ich komme aus der freien Wirtschaft, ich kenne die Defizite und verstehe unsere Arbeit im Sinne eines Koproduzenten, der sich einmischt. Zwar wird es immer einzelne Autorenfilmer geben, aber die Zeit des Autorenkinos in seiner breiten Ausformung ist vorbei. Ende der sechziger Jahre sagten sich die damaligen Jungfilmer: „Schwarzwaldmädel“ und „Edgar Wallace“, nee, das wollen wir nicht mehr. Und mit wem soll ich produzieren? Nein, das mache ich lieber selbst. Die konnten das damals auch: Die ersten zehn Jahre war der Autorenfilm sehr erfolgreich, sowohl an der Kasse als auch prestigemäßig. Dann allerdings ist den Leuten die Omnipotenz in den Kopf gestiegen und die Ignoranz gegenüber dem Publikum immer größer geworden. Der Erfolg blieb aus. Die kreative Kraft dieser Generation ist erschöpft, sie ist ausgepowert, vielleicht durch die Vielzahl der Tätigkeiten. Und die neue Generation ist noch nicht soweit, denn die Autorenfilmer – Reitz, Wenders, Kluge, Hauff – haben null Nachwuchspflege betrieben, die funktionierten als Entitäten.

Aber die Autorenfilmer hat damals auch keiner gefördert. Die hatten keine Mentoren, sondern Gegner. Das kreative Potential speiste seine Energie doch aus der Protesthaltung von „Papas Kino ist tot“. Liegt es wirklich an der fehlenden Nachwuchspflege und nicht vielmehr am fehlenden Impuls?

Der Niedergang des Autorenfilms ist natürlich nur ein Faktor. Das Produzieren ist heute sehr teuer und komplex geworden. Auch hat das Publikum inzwischen eine unglaubliche Bildung, was Sehgewohnheiten, Inhalte und ästhetische Standards betrifft. Da müssen wir atemlos hinterherhetzen und uns immer wieder auf die Frage besinnen: Was wollen unsere Filme wem sagen? Wenn ich zurückblicke auf die knapp sechs Jahre meiner Tätigkeit an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen, dann glaube ich, daß eine neue Generation mit einem ganz anderen Selbstverständnis heranwächst, die sich sagt: Kunst ist ein Bereich, aber es gibt ein Publikum, für das machen wir unsere Produkte und wir müssen sehen, wie wir unsere Produkte auf dem Markt positionieren. Die haben genau so eine Sprache drauf. Die Selbstverwirklichung hat keine Bedeutung mehr. Der Nachwuchs versteht die Struktur der Medienwirtschaft ganz anders, er denkt wirtschaftlich. Die Jungen erkennen an, daß Kunst und Kultur nur dann manifest werden, wenn sie auch jemand sieht. Gesehenwerden ist doch das Wesen dieses Mediums. Die neue Generation denkt auch an Merchandising und Nebenverwertung.

Hollywood, ein paar Nummern kleiner: Ist das das Kino, das wir brauchen?

Nein, das wäre falsch. Wir müssen schon etwas Eigenständiges entwickeln, Filme, die mit uns zu tun haben. Ich bin davon überzeugt, daß Filme, die im eigenen Land reüssieren, woanders auch eine Chance haben. Der Zuschauer muß wieder Vertrauen fassen, der deutsche Film darf nicht mehr identifiziert werden mit: schwer, tiefgründlerisch, hintersinnig, unlustig, freudlos.

Zu wem tendieren Sie denn: Eher Richtung Sönke Wortmann oder Richtung Michael Haneke?

Das kann ich so nicht sagen. Es gibt die Komödien-Welle, da wollen viele mitschwimmen. Ich spüre aber, daß in den Drehbüchern eine Art neue Innerlichkeit, eine neue Romantik auftaucht. Auch die Komödie wird sich erschöpfen, wobei sie als Genre immer wichtig bleibt.

Inwiefern profitieren Sie von Ihren früheren Erfahrungen nicht nur als Dozent der HFF, sondern auch als Herstellungsleiter bei der Bavaria und als Regieassistent?

Das habe ich 19 Jahre lang freiberuflich gemacht.

Unter anderem bei Regisseuren wie Schlöndorff, Fred Zinnemann und Cassavetes. Haben solche Leute Sie geprägt?

Sie haben buchstäblich einen Eindruck bei mir hinterlassen, einfach weil es so unikate Persönlichkeiten waren, die sehr souverän waren im Umgang mit ihren Mitarbeitern. Die ließen gewähren und aus dem Gewährenlassen entstand etwas, aus dem sie auswählen konnten, was sie brauchten. Das hat mich außerordentlich beeindruckt. Durch die Arbeit mit Schlöndorff – da war ich noch ein sehr junger Mensch – ist mir der Begriff Sorgfalt bis heute im Kopf. Mit Cassavetes habe ich zwei Filme gemacht, bei der er als Co- Regisseur und Schauspieler mitwirkte.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Babelsberger Studios und mit Volker Schlöndorff aus?

Wir überweisen denen unsere Miete und partizipieren am Pressespiegel. Daß wir auf dem Studiogelände sitzen, ist natürlich kein Zufall. Wir wollten dort sein, wo die Musik spielt. Aber es ist nicht so, daß wir zum Studio gehen und sagen, wir haben da was für euch. Es ist genau umgekehrt: Die Antragsteller nennen häufig Babelsberg als Ko-Produzenten. Wir kanalisieren dann nur noch. Und dann gibt es den Synergie-Effekt: Wo immer ich hier stehe und gehe, kommen die Leute auf mich zu.

Welchen Film haben Sie zuletzt ganz normal im Kino gesehen?

(überlegt lange) „Mario, der Zauberer“, aber nicht im Kino. „Keiner liebt mich“ habe ich leider noch nicht gesehen. Ich sehe eine ganze Menge, das muß ich nicht nur, sondern das ist meine Leidenschaft. Aber was habe ich zuletzt im Kino gesehen? „Der bewegte Mann“ ist schon eine Weile her. Warten Sie, ich war mit meiner Frau im Kino, es war etwas Exotisches, chinesischer Film, eine Liebesgeschichte.

„Eat Drink Man Woman“?

Nein, ein älterer, ich wollte ihn unbedingt sehen. Wie hieß er denn noch? Er spielt in den zwanziger Jahren in China. Ein reicher Kaufmann hat bereits zwei Frauen und nimmt sich noch eine dritte, eine junge Studentin.

Meinen Sie „Die rote Laterne“ von Zhang Yimou?

Den meine ich.