Dieser Mann klebt an seinem Sessel

Obwohl ein Untersuchungsausschuß vernichtende Fakten gegen den Düsseldorfer Umweltminister Klaus Matthiesen (SPD) zusammengetragen hat, bleibt dieser weiter im Amt / Ein Musterbeispiel für verlogene Politik  ■ Von Walter Jakobs

Johannes Rau holte den norddeutschen Poltergeist 1983 in sein Düsseldorfer Kabinett – mit klarem Kampfauftrag. Als Umweltminister sollte Klaus Matthiesen die ökologische Front der SPD sichern. Von dem Kieler SPD-Oppositionsführer und Atomkraftgegner erhoffte sich Rau neuen Drive beim Kampf um die ökologisch orientierten SPD- Wähler, die zunehmend zu den Grünen abzuwandern drohten. Das Kalkül ging auf. Voll Stolz erinnerte sich Matthiesen jüngst seiner anfänglichen Taten: „Bei der ersten Landtagswahl (1985) hat es geklappt, bei der zweiten Wahl waren wir unmittelbar davor, denn hätten wir ein halbes Prozent mehr Wahlbeteiligung gehabt, wären die Grünen auch bei der letzten Landtagswahl nicht in den Landtag gekommen.“ Mangelnden Einsatz an der Anti-Grün-Front kann ihm gewiß niemand vorwerfen. Matthiesen scheute keine Mühe – und auch keine Tricks. Besonderen Eifer entwickelte der manische Rot- Grün-Gegner im Zusammenhang mit einer sogenannten „Müllvermeidungskampagne“, die er am 17. Januar 1990 auf den Weg brachte.

In Zeitungsanzeigen, Fernseh- und Rundfunkspots half „der Umweltminister in NRW“ den Bürgern, die sich vielerorts mit Unterstützung der Grünen gegen des Ministers Müllverbrennungspolitik engagierten, mit „Müllspartips“ auf die Sprünge. Die Kampagne ging ins Geld. Rund 5 Millionen Mark machte Matthiesen dafür bei seinem Genossen Finanzminister, Heinz Schleußer (SPD), locker – außerplanmäßig, am Parlament vorbei. Am Samstag, dem 12. Mai 1990, exakt einen Tag vor der Landtagswahl, war Schluß mit den ministeriellen „Müllspartips“. Der Wahlsonntag bescherte der SPD erneut die absolute Mehrheit und dem Parlament eine neue Oppositionspartei – die Grünen.

Deren Spitzenkandidaten Michael Vesper war die Kampagne schon sauer aufgestoßen. Vesper wandte sich deshalb schon am 11. April an den Präsidenten des nordrhein-westfälischen Landesrechnungshofs. Durch die aufwendige Müllvermeidungskampagne während der heißen Phase des Landtagswahlkampfs sah der grüne Spitzenmann das Neutralitätsgebot der Regierung verletzt. Im Kern handele es sich bei der Anzeigenserie um eine zweckwidrige Verwendung öffentlicher Mittel für parteipolitische Ziele der SPD.

Monate später, am 27. November, schlug der Landesrechnungshof zu. Die Rechnungsprüfer kamen zu dem Schluß, „daß mit der Kampagne die Grenzen rechtmäßiger Öffentlichkeitsarbeit hin zur unzulässigen Wahlwerbung überschritten wurden“. Gleichzeitig erging an die Landesregierung die Bitte, mitzuteilen, „wie die zu Unrecht verausgabten Beträge dem Landeshaushalt wieder zugeführt werden können“.

Entlastung für die Rau-Regierung brachte eine erste Entscheidung des von den Grünen angerufenen Landesverfassungsgerichts. Am 15. Oktober 1991 verkündeten die Münsteraner Richter, daß die Kampagne nicht gegen die Verfassung verstoßen habe und insbesondere „keine unzulässige Wahleinwirkung“ darstellte. Doch das Donnerwetter folgte auf dem Fuße. Die Finanzierung der Kampagne, so urteilte dasselbe Gericht wenige Monate später am 28.1. 1992 in einem weiteren Verfahren gegen Finanzminister Schleußer, sei „rechtswidrig“ erfolgt, sie „verstieß gegen die Landesverfassung“.

Schon im Schleußer-Verfahren deutete sich an, daß die dort von der Regierung vorgetragenen Argumente sich deutlich von den im Parlament abgegebenen Erklärungen des Umweltministers unterschieden. So hatte Matthiesen eine kleine Anfrage des noch ahnungslosen CDU-Abgeordneten Hartmut Schauerte, der am 11. Juni 1990 wissen wollte, wie die außerplanmäßigen Mehrausgaben gegenüber dem Finanzministerium begründet wurden, im gewohnt arroganten Ton so abgebügelt: „Die Abfälle der Wohlstandsgesellschaft bilden eines der am schwersten zu lösenden Umweltprobleme in NRW...“ Als Beitrag zur Verringerung des Müllaufkommens seien die 5 Millionen Mark deshalb „unabweisbar“ gewesen. „Unabweisbar?“ Da stutzte nicht nur Schauerte, denn für die Gewährung außerplanmäßiger Mittel bedarf es nach den gesetzlichen Vorschriften „besonderer, nicht vorhersehbarer Gründe“.

Tatsächlich wurden solche „unvorhersehbaren Gründe“ an keiner Stelle der Regierungsantwort sichtbar. Daß der Dreck der „Wohlstandsgesellschaft“ unbedingt in den Monaten vor der Landtagswahl einer unaufschiebbaren Bekämpfung bedurfte, war jedenfalls nicht erkennbar. Wie konnten da die als besonders penibel beleumdeten Finanzbeamten die Mittel gewähren? Die Antwort ist einfach, doch sie im Gestrüpp der ministeriellen Vertuschungs- und Täuschungsmanöver zu finden bedurfte es erst eines auf Antrag der Opposition eingerichteten parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Angetrieben von den Oppositionsabgeordneten, entwickelte der Ausschuß einen geradezu kriminalistischen Spürsinn. Weil der per Gesetz zur Neutralität verpflichtete Ausschußvorsitzende, der SPD-Abgeordnete Bodo Hombach, die Aufklärung nach Kräften förderte, kam der Ausschuß gut voran.

Das Ergebnis der mühevollen Arbeit findet sich im gerade vorgelegten Abschlußbericht: Demnach steht auch für die SPD-Mehrheit im Untersuchungsausschuß fest, daß Matthiesen den Abgeordneten Schauerte „sowohl unvollständig als auch teilweise abweichend von der Originalbegründung“, mit der er beim Finanzminister die Mittel losgeeist hatte, Bescheid gab. Vulgo: Matthiesen hat das Parlament und die Öffentlichkeit nach Strich und Faden verarscht.

Mit sieben Sätzen begründete das Matthiesen-Ministerium seinerzeit gegenüber dem Finanzministerium den außerplanmäßigen Bedarf für die „dringend erforderliche“ Kampagne. Am Anfang stand ein Satz, der die Unaufschiebbarkeit der Hausmüllvermeidungskampagne scheinbar glasklar zu belegen schien: „Durch den zunehmenden Widerstand gegen die Müllverbrennung und den Fortfall der Deponierungsmöglichkeiten in der DDR spitzt sich das bestehende Müllproblem weiter zu.“ Für den zuständigen Ministerialrat im Finanzministerium, Arwed von Ingersleben, war allein die behauptete fehlende DDR- Deponiermöglichkeit „kausal für die Bewilligung des Antrages“. Ohne das DDR-Argument hätte er den Antrag abgelehnt, denn die Gefahr eines akuten Rückstaus, wäre für ihn dann „nicht mehr vorhanden gewesen“. Warum aber fehlte dieses alles entscheidende Argument in der Antwort zur Frage des Abgeordneten Schauerte? Nun, Matthiesen wußte warum: Es war schlicht falsch.

Der Minister selbst hatte im Landtag am 18. Januar 1990 stolz verkündet, „daß es bisher keinen Export von Hausmüll aus Nordrhein-Westfalen in die DDR gegeben hat und daß es einen solchen Export auch in Zukunft mit Zustimmung der Landesregierung nicht geben wird“. Infolgedessen konnte sich das Müllproblem durch eine Schließung der DDR- Deponien in NRW auch nicht „zuspitzen“. Als die Düsseldorfer Oppositionsparteien daraufhin von „Täuschung“, „Lüge“ und „Betrug“ sprachen, sah Matthiesen sich von einer „Schmutzkoalition“ aus CDU und Grünen „übel verleumdet“. Und prompt gebar der Unschuldsengel ein „neues“ Argument. Indirekt, so belehrte der Minister seine Kritiker, hätte der Stopp des Müllexports in die DDR auch NRW tangiert, weil das Land dann im Rahmen eines „nationalen Krisenplans“ zur Aufnahme des Mülls aus den anderen Bundesländern verpflichtet gewesen sei. Vor dem Untersuchungsausschuß sprach Matthiesen am 3. Dezember 1993 gar davon, mit den anderen Bundesländern sei „für den Fall, daß die Modrow-Regierung wirklich sperrt, definitiv verabredet worden, daß wir dann im Sinne einer Notentsorgung Müllmengen aus anderen Bundesländern übernehmen“.

Auch diese Matthiesen-Wendung folgt dem bekannten Muster: Es werden Beziehungen suggeriert und Begriffe in die Welt gesetzt, die nur dem Zweck dienen, die Abläufe in einem Nebel von wortreichen Erklärungen verschwinden zu lassen. Doch wenn der Rauch der Nebelkerzen sich lichtet, dann ist das Verfallsdatum der Matthiesen-Erklärungen erreicht. Dank des Ermittlungseifers der Oppositionsabgeordneten Schauerte (CDU), Busch (Grüne) und Lanfermann (FDP) funktionierte die Matthiesen-Masche diesmal nicht. Nach zahlreichen Zeugenvernehmungen und umfangreichem Aktenstudium steht fest, daß von der behaupteten „definitiven Verabredung“ zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Müllvermeidungskampagne nicht die Rede sein kann.

Der Abschlußbericht stellt dazu einstimmig fest: „Eine rechtlich verbindliche Verabredung mit diesem Regelungsinhalt hat es Ende 1989/Anfang 1990 nicht gegeben.“ In den Akten der Umweltminister war eine solche Regelung „an keiner Stelle dokumentiert“. Erst Ende März 1990 gab es bei der Umweltministerkonferenz in Celle für den Sondermüllbereich bestimmte Verabredungen zur Übernahme. Schon aus chronologischen Gründen verbietet sich aber eine Verknüpfung dieser Umweltministerkonferenz mit der Hausmüllvermeidungskampagne in NRW. Von Matthiesen schon am 17. Januar endgültig verfügt, lief die Kampagne bereits zum Zeitpunkt der Celler Konferenz. Die Düsseldorfer Oppositionsparteien treffen exakt ins Schwarze, wenn sie auch diese Matthiesen-Einlassung als nachgeschobene „Schutzbehauptung“ charakterisieren.

Während die SPD-Mehrheit weder in Matthiesens Tun noch bei dem seiner Mitarbeiter eine bewußte Absicht zur Täuschung erkennen mag, spricht der grüne Ausschußobmann Manfred Busch von einer Kette von „Täuschungen und Unwahrheiten“. Alle Aussagen aus dem Umweltministerium vor dem U-Ausschuß dienten für Busch vor allem „dem Zweck, direkt oder indirekt den Verdacht der unerlaubten Wahlwerbung zu entkräften“. Busch wörtlich: „Eine Täuschung zog die nächste nach sich.“ Hinter vorgehaltener Hand stimmen dieser Wertung auch einflußreiche Sozialdemokraten zu. Daß die SPD-Fraktion und Ministerpräsident Johannes Rau Matthiesen gleichwohl den Rücken stärken, wird als „fatales Signal“ gewertet: „Wenn einer bei dieser Sachlage im Amt bleiben kann, dann muß in Zukunft überhaupt kein Minister mehr zurücktreten.“

Fest steht, daß der Untersuchungsausschuß aus dem Hause Matthiesen auch mit manipulierten Akten beliefert wurde. Bei einem Vergleich von kopierten Akten aus dem Finanzministerium mit den Kopien aus dem Umweltministerium fiel auf, daß sich die Papiere, die eigentlich identisch hätten sein müssen, in winzigen Details unterschieden. Bei dem Schriftstück handelte es sich um einen ersten Antwortentwurf zur kleinen Anfrage des CDU-Abgeordneten Schauerte, die der Finanzminister mitzuzeichnen hatte. Während die vom Finanzministerium gelieferte Kopie mit dem Original übereinstimmte, wich die von Matthiesen gelieferte Fassung, auf der ebenfalls der Mitzeichnungsvermerk von Finanzminister Schleußer prangte, an mehreren Stellen davon ab. So weckt man das kriminalistische Gespür von Abgeordneten, denn diese „Kopie“ hatte dem Finanzministerium nie zur Mitzeichnung vorgelegen. Der Verdacht lag nahe, daß die ganze Operation dem Ziel diente, verfängliche Anmerkungen auf dem Original, das im übrigen seither verschütt blieb, zu vertuschen. Eine bei der Staatsanwaltschaft seitens der CDU erstattete Anzeige wegen Urkundenfälschung wurde inzwischen eingestellt.

Eine Matthiesen-Mitarbeiterin erklärte den Staatsanwälten, sie habe den im Computer gespeicherten Originaltext wahrscheinlich wegen eines Systemabsturzes neu geschrieben und dann den Mitzeichnungsvermerk von einer anderen Kopie auf das neue Schriftstück aufkopiert. Dem U-Ausschuß erzählte sie davon nichts. Durch diesen Kopiervorgang „wurde zwar der objektiv unrichtige Eindruck erweckt, der anliegende Entwurf des MURL (Umweltministerium) sei vom Finanzministerium in dieser Form mitgezeichnet worden“, aber eine Urkundenfälschung war es nicht, heißt es in dem Einstellungsbeschluß der Staatsanwaltschaft. Denn eine Fotokopie „ist nach ganz herrschender Meinung keine Urkunde“. Sicher ist, daß Matthiesen persönlich bei der Beantwortung der kleinen Anfrage beteiligt war. Seine handschriftliche Anmerkung – „ich habe Änderungen“ – zeugt davon. Was er zu ändern wünschte, bleibt wegen des unauffindbaren Originals offen.

Noch im August letzten Jahres gab sich Matthiesen sicher, daß die Ergebnisse des U-Ausschusses „mich bestätigen werden“. Großspurig wie immer fügte er hinzu: „Das wird ein Rohrkrepierer, und zu gegebener Zeit wird politisch abgerechnet.“ Als der Düsseldorfer Landtag vor wenigen Tagen den Abschlußbericht debattierte, kam dem sonst so Lautstarken indes kein einziger Ton über die Lippen. Das Schweigen macht Sinn, denn selbst die SPD-Mehrheit mußte in dem Abschlußbericht einräumen, daß dem von Matthiesen so gern zur Entlastung bemühten Verfassungsgericht „sowohl – in einem nebensächlichen Punkt – unzutreffend als auch in einem weiteren Punkt teilweise abweichend von der Originalbegründung“ vorgetragen wurde.

Auch den Richtern gegenüber gebärdete sich der Minister wie Tricky-Klaus: Vom gefährlichen DDR-Argument erfuhren sie nichts.