Wolken über Garching

US-Regierung stoppt Neutronenquelle / TU München will weiter Bombenuran für Forschung  ■ Von Gerd Rosenkranz

Das Ende kam plötzlich, aber nicht unerwartet. Abrupt stoppte die Clinton- Regierung zum Wochenbeginn alle Planungen für den größten Forschungsreaktor der Welt. Die „Advanced Neutron Source“ (ANS), eines der teuersten und umstrittensten Großforschungsprojekte der letzten Jahre, wird nicht gebaut. Der 330-Megawatt-Meiler sollte Wissenschaftler am Oak Ridge National Laboratory im US-Staat Tennessee mit Neutronen zur Feinstrukturuntersuchung von Festkörpern, chemischen und biologischen Stoffen versorgen. Mit dem Entschluß des Energieministeriums, das 3-Milliarden-Dollar-Ding nach zehnjährigen Vorbereitungen aufzugeben, ziehen auch in der Region um Garching bei München dunkle Wolken auf.

Die dortige Technische Universität plant, protegiert von Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), am Standort des legendären Garchinger Atomeis bekanntlich das deutsche Gegenstück zur amerikanischen ANS. Mit einer Leistung von 20 Megawatt ist der Forschungsreaktor München II (FRM II) zwar von erheblich bescheidenerem Zuschnitt. Das macht ihn aber nicht minder umstritten. Der Grund: Sowohl die „Fortgeschrittene Neutronenquelle“ in Tennessee als auch der FRM II sollten mit bombentauglichem, hochangereichertem Uran (HEU) als Spaltstoff betrieben werden. Damit standen beide Projekte im Gegensatz zu lang anhaltenden Bemühungen, HEU aus dem zivilen Kernbrennstoffkreislauf vollständig zu verbannen.

In vorderster Reihe hatten sich die Amerikaner seit 1978 für dieses Ziel engagiert und ihre Verbündeten gedrängt, alte Forschungsreaktoren auf niedrigangereichertes, nichtwaffentaugliches Uran umzustellen. Neue Projekte sollten von vornherein nicht mehr mit dem explosiven Brennstoff konzipiert werden. Tatsächlich gehörte das Programm zu den wenigen „Erfolgsstorys“ bei den internationalen Bemühungen um die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. Zahlreiche Forschungsreaktoren sind bereits auf den harmloseren Brennstoff umgestellt — hierzulande der FRG-1 in Geesthacht.

Die Clinton-Administration versucht seit langem auf diplomatischem Wege, die Deutschen von dem in Garching vorbereiteten Rückfall in alte Zeiten abzubringen. Fest steht, daß die USA die TU München im Falle der Realisierung des FRM II nicht mehr mit HEU-Brennstoff beliefern werden. Mit einigem Recht konterten die Garchinger Projektbetreiber amerikanische Attacken in der Vergangenheit kühl mit Hinweisen auf die ANS. Man befinde sich „in sehr guter Gesellschaft“, witzelte die Projektgruppe neuer Forschungsreaktor in ihren Erklärungen. Damit ist es nun vorbei. Die Münchner bleiben als einzige Sünder auf weiter Flur.

Besonders bedenklich für die Münchner Reaktorplaner: Das US-Energieministerium begründet den ANS-Verzicht nicht nur mit den horrenden Kosten, sondern ausdrücklich auch mit den mit dem HEU-Einsatz verknüpften Proliferationsrisiken. Paul Leventhal, Präsident des privaten Washingtoner „Nuclear Control Institute“ und einer der profiliertesten Kritiker der ANS, forderte die Clinton-Regierung gestern auf, nun die Aufgabe des FRM II direkt bei Bundeskanzler Kohl einzufordern. Die SPD-Abgeordneten Catenhusen und Kubatschka forderten, dem amerikanischen Vorbild zu folgen und das Münchner Reaktorkonzept zu stoppen. Der FRM II dürfe nicht gebaut und „schon gar nicht mit HEU betrieben“ werden, forderte auch der Bundestagsabgeordnete Gerald Häfner (Bündnis 90/Die Grünen). Gewohnt dickfällig reagierten die Garchinger Projektplaner Wolfgang Gläser und Klaus Böning: „Wir haben keinen Grund, das Konzept des FRM-II zu ändern.“