„Die Unterscheidung aller Menschen“

■ Der genetische Fingerabdruck ist eine fehleranfällige Ermittlungsmethode, auch die korrekte Anwendung der DNA-Analyse erlaubt nur statistische Aussagen

Einzig bei eineiigen Zwillingen versagt die Methode. Sonst erlaubt der genetische Fingerabdruck „die Unterscheidung aller Menschen“. Das behaupten zumindest die Genetiker. In der Praxis sieht das dann gelegentlich etwas anders aus – mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen. In Deutschland war erst im vergangenen Jahr ein Fall bekanntgeworden, in dem ein mangelhafter Fingerabdruck einen Verdächtigten unschuldig hinter Gitter brachte.

Keine zwei Jahre nachdem der Engländer Alec Jeffrey 1985 erstmals eine Methode beschrieb, die es erlaubte, eine Person aufgrund ihrer Erbanlagen zu identifizieren, erregte der genetische Fingerabdruch auch schon Aufsehen. Im englischen Leicester mußten über 5.000 Männer eine genetische Untersuchung über sich ergehen lassen – die Polizei vermutete, daß unter ihnen ein Vergewaltiger und Mörder sei. Die erste genetische Rasterfahndung blieb erfolglos, der Täter war nicht zu identifizieren.

In der Bundesrepublik begannen die polizeitechnischen Labors ab Ende der achtziger Jahre, sich auf den genetischen Fingerabdruck einzurichten. Anfänglich nutzten sie die von Jeffrey entwickelte und patentierte Methode, die darauf basiert, daß das mit spezifischen Enzymen behandelte Erbgut individuell in Fragmente unterschiedlicher Länge aufgetrennt werden kann. Die Identifizierung des Täters erfolgte durch einen DNA-Längenvergleich der am Tatort gesicherten Spur mit einer Probe des Verdächtigten. Ein Nachteil dieser Methode war, daß dafür relativ frische Blutspuren notwendig sind, die DNA darf noch nicht durch natürliche Zersetzungsprozesse angegriffen sein. Ein weiterer Nachteil: Es muß genügend Material vorhanden sein. Konnte die Polizei nur ein einzelnes Haar oder sogar nur eine Samenzelle sicherstellen, versagte die Methode.

Das änderte sich erst mit der Entdeckung der „Polymerasekettenreaktion“, kurz PCR genannt. Mit dieser Methode ist es möglich, auch winzige DNA-Mengen zu untersuchen: Die Erbinformation einer einzigen Zelle reicht aus. Die PCR erlaubt es, von einem einzelnen DNA-Strang beliebig viele Kopien herzustellen. Problematisch wird es jedoch dann, wenn die Ausgangsprobe mit Bakterien oder Pilzen verunreinigt ist. Schon ein kurzes Stück fremder Erbsubstanz kann das Ergebnis verfälschen. Sauberes Arbeiten bei der Spurensicherung und im Labor ist daher unerläßlich, denn bei der PCR wird das gesamte vorhandene Erbmaterial vervielfacht, auch die vorliegenden Verunreinigungen.

Die Identifizierung eines Täters erfolgt auch bei der PCR durch die Auftrennung von DNA-Fragmenten, nur daß hier einige wenige, durch spezifische DNA-Sonden markierte Fragmente für einen Vergleich herangezogen werden. Für jede einzelne dieser Sonden muß zuvor festgestellt werden, wie oft sie in einer Bevölkerungsgruppe vorhanden ist. Liegt die Wahrscheinlichkeit für die Identität zweier Genmuster in einer Bevölkerungsgruppe bei einem Prozent, sinkt sie bei zwei Sonden auf 0,01 Prozent. Auch wenn mit dem Einsatz weiterer Sonden der Aussagewert verbessert werden kann, beruht das Ergebnis stets auf statistischer Berechnung. Absolute Sicherheit kann es also bei der DNA- Analyse nicht geben.

Im Unterschied zu Jeffreys Methode, bei der lediglich die Längen der DNA-Fragmente verglichen werden, kann mit der PCR-Methode und dem Einsatz spezifischer Sonden der „gläserne Mensch“ geschaffen werden. Rückschlüsse auf einzelne Erbanlagen wie Hautfarbe, bestimmte Erbkrankheiten oder die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe sind möglich. Im Zuge der zunehmenden Reduktion menschlichen Verhaltens auf die Erbanlagen droht eine weitere Gefahr: die Stigmatisierung und Vorverurteilung von Menschen mit Erbmerkmalen, die nach Meinung von Wissenschaftlern auf „asoziale Verhaltensweisen“ oder sogar auf ein „kriminelles Potential“ hinweisen.

Daß dies nicht nur in den Bereich der Horrorszenarien gehört, haben die Humangenetiker schon selbst vorgeführt. Fahndeten sie vor wenigen Jahrzehnten noch nach Männern mit dem „kriminellen Erbmuster“ XYY, so meinen heute einige Humangenetiker wie zum Beispiel der neue Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Molekulare Genetik, Hans-Hilger Ropers, daß sie endlich das Gen für kriminelles Verhalten gefunden hätten. Wolfgang Löhr