Am Goldenen Dreieck

Wirkliches Geld verdienen, so wie die Chinesen – das bleibt für die meisten BewohnerInnen der Bergdörfer von Nordlaos nur ein schöner Traum  ■ Aus Luang Namtha Jutta Lietsch

Sie sind faul. Sie tun nichts anderes, als den ganzen Tag herumzuhängen und Opium zu rauchen“, sagt der Besitzer des kleinen Restaurants an der Hauptstraße des Städtchens Luang Namtha und sieht der Gruppe schwerbeladener Frauen nach. Für die Kiepe Brennholz, die sie auf dem Rücken tragen, verlangen sie 300 Kip, das sind etwa 70 Pfennig, etwa der Preis der Nudelsuppen, die wir gerade zum Frühstück gegessen haben.

Die Frauen mit ihren dunkelblauen Kleidern und bunt eingefaßten Kopftüchern sind noch vor Sonnenaufgang in ihrem Dorf aufgebrochen. Sie gehören zum Bergvolk der Yao, einer der zahlreichen ethnischen Minderheiten in Laos, die meist in großer Armut von der Jagd, Waldfrüchten oder dem leben, was sie an den Berghängen anbauen. Für den Eigenbedarf, heißt es in der laotischen Hauptstadt Vientiane, dürfen sie auch ein wenig Mohn anpflanzen.

Der Morgen ist kühl und dämmrig, erst langsam heben sich die Wolken aus den grünen Hügeln von Nordlaos. Die BewohnerInnen von Namtha sind längst wach, aufgeschreckt spätestens durch den energisch aufmunternden Klang von Frühmusik und Nachrichten, die ab 6.30 Uhr eine halbe Stunde lang durch das öffentliche Lautsprechersystem plärren. Namtha mit seinen paar Tausend Einwohnern ist nicht viel mehr als eine Ansammlung von Holz- und Steinhäusern, die sich wie zufällig an der Hauptstraße aneinanderreihen, einigen Läden, Gasthäusern und einem Markt. Strom gibt es jeden Tag von 18.30 bis 22 Uhr. Gekocht wird mit Holz und Holzkohle; wer es sich leisten kann, hat einen Generator.

Das große Geld am Opium verdienen die anderen

Wenig weist auf die illustre Vergangenheit des Städtchens während des Vietnamkrieges hin, als Namtha Zentrum der CIA-Aktivitäten in Nordlaos war: Anfang der sechziger Jahre hatte der US-Geheimdienst den in dieser Gegend aufgewachsenen Missionarssohn William Young beauftragt, eine Kommandoeinheit aus Mitgliedern der lokalen Bergstämme zusammenzustellen, die im nahen China und Birma Unruhe unter den Kommunisten stiften sollten. Später kämpften Einheiten der Stämme auch gegen die von Vietnam unterstützten laotischen Kommunisten. Eine Hand wusch die andere: Mit CIA-Flugzeugen brachten die USA das von den Bergstämmen angebaute Opium nach Saigon und in andere Städte Südostasiens.

Fast zwanzig Jahre nach ihrem Sieg trauen die laotischen Kommunisten den Bergstämmen in dieser schwer zugänglichen Region am Rande des Goldenen Dreiecks – wo Thailand, Birma und Laos zusammentreffen und China nicht weit ist – immer noch nicht ganz. „Reaktionäre“ verübten ab und zu Überfälle auf den Landstraßen, heißt es in der offiziellen Sprachregelung. Gemeint sind bewaffnete Banden von Hmong oder anderen ethnischen Gruppierungen, die sich ab und an Scharmützel mit Regierungssoldaten liefern. Tatsächlich sind sie vor allem darauf bedacht, den Anbau und die Handelswege des in der Region produzierten Opiums zu schützen. Obwohl die Politiker in Vientiane sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre gegenüber der US-Antidrogenbehörde DEA verpflichtet haben, den Opiumanbau zu bekämpfen, bleibt das Goldene Dreieck weltbedeutendster Produzent von Opium – neben Afghanistan. Doch die damit das große Geld machen, leben woanders, nicht hier in den Bambushütten der Bergdörfer.

Nur wenige Kilometer von Namtha entfernt hat sich ein Mann an den Straßenrand gelegt – zur Feier seines Jagdglückes. Neben ihm liegt seine Beute: ein gerade erschossener Affe, für Kenner eine Delikatesse. Der Mann erhitzt ein Portiönchen Opium und stopft entrückt seine Pfeife. Auch auf dem Markt im weiter südlich gelegenen Phonsavan bieten Frauen, kaum versteckt, die braune Masse zum Verkauf, das Gramm zu rund einer Mark zwanzig.

Erdrutsche, Monsun und Abnutzung haben die schmale Überlandstraße, die sich entlang der Berge im Norden des Landes windet, stark beschädigt. Sie heißt China Road, weil die Chinesen sie in den sechziger Jahren gebaut haben, bevor der Vietnamkrieg in seine Endphase ging und sich das Verhältnis zwischen beiden Ländern abkühlte, bis Peking schließlich seine Leute abzog.

Doch das ist Vergangenheit. Seit Tagen gibt es nur ein Thema in Namtha: auf der chinesischen Seite des 70 Kilometer entfernten Grenzüberganges Boten soll erstmals ein großer Markt stattfinden. Der ein Jahr zuvor eröffnete Kontrollpunkt ist einen Tag lang passierbar, und Waren können zollfrei nach Laos gebracht werden.

So finden sich an diesem Morgen auf dem „Busbahnhof“ des Ortes besonders viele Reisewillige ein: Händler und voll Vorfreude strahlende junge Frauen, das Baby im Tuch auf der Hüfte. Busse gibt es hier nicht. Lastwagen und die allgegenwärtigen Nissan- und Toyota-Pickups, auf deren Ladefläche neben Reisegepäck, Körben voll zuckender Kröten und Hühnern bis zu fünfzehn Passagiere Platz finden, sind die einzigen öffentlichen Transportmittel.

Der Markt am Grenzübergang läßt ahnen, wie gezielt sich der nördliche Nachbar daran macht, Laos als Absatzmarkt und Durchgangsroute nach Thailand zu nutzen.

Laos als Absatzmarkt und Durchgangsroute

Auf der chinesischen Seite säumen frisch geöffnete Geschäfte neben eilig hochgezogenen Rohbauten die Straße, die bis zur Kontrollstelle führt. Im Angebot sind die unvermeidlichen Plastik- und Emailleschüsseln, Bettdecken und Taschenlampen, Radios sowie Billigtextilien mit oft erstaunlichen Aufschriften wie „Deutscher Fußballbund“ oder „World Famous Advanced Sports Suit USA“.

Nicht nur chinesische Waren, auch Menschen kommen in wachsender Zahl. ChinesInnen aus den Südprovinzen Yunnan und Guangxi suchen ihr Glück als Wanderarbeiter und Händler. Straßenbau und -reparatur liegt in der Hand von chinesischen Arbeitstrupps. In Namtha und auch weiter im Süden öffnen immer neue Gasthäuser für die chinesischen Reisenden. Dort müssen die Besucher schon chinesisch sprechen, um sich verständlich machen zu können.

Wie überall in Südostasien hat es auch in Laos immer eine kleine chinesische Minderheit gegeben. Wie anderswo auch war sie besonders stark im Handel vertreten. Viele von ihnen haben es vorgezogen, sich vor den Kommunisten ins Exil zu begeben. Zurückgekehrt sind bislang nur wenige, an ihrer Stelle kommen andere: Er sei vor ein paar Jahren zum ersten Mal hier gewesen, berichtet der vierzigjährige Chinese, Besitzer eines Restaurants in Namtha, „und dann bin ich mit etwas Geld wiedergekommen und habe investiert. Die Behörden kümmern sich nicht darum. Die sind froh, wenn hier jemand was macht.“ Ob sie sich in Laos niederlassen werden? Vielleicht, sagen seine beiden Angestellten, die wie ihr Chef aus der südchinesischen Provinz Yunnan stammen. „Vielleicht schaffen wir es aber auch bis Thailand, da kann man wirklich Geld verdienen.“

Wirklich Geld verdienen, so wie die Chinesen – das wird für die meisten BewohnerInnen von Nordlaos ein Traum bleiben. In der Landwirtschaft der Berge produzieren die Dorfbewohner gerade soviel, wie sie selbst verbrauchen – oft nicht einmal das. Der von der Regierung eingesetzte Distriktsanitäter Apui berichtet von hoher Kindersterblichkeit und geringer Lebenserwartung. In seinem Distrikt gibt es erst seit fünf Jahren eine Grundschule. Die Bevölkerung wächst schnell; über fünfzig Prozent der Laoten sind unter 15 Jahre alt. Für die jungen Leute wird es immer schwerer, sich vom Land zu ernähren, Fabriken gibt kaum. Bleibt noch ein wenig Handel oder die Suche nach dem Glück in der Ferne.

In der Diskothek von Phonsavan nippt die 17jährige Banh an ihrer Sprite. Sie hat ihre Familie und ihr Dorf verlassen, weil „wir zu viele und zu arm sind“. Aber in der Stadt fand sie keine Arbeit. So ist sie in der Disko angekommen. Obwohl sie, wie sie sagt, den Job haßt, arbeitet sie jede Nacht der Woche, für 30 Mark im Monat, als Animateurin und Eintänzerin. Vielleicht hat sie Glück und findet doch noch einen anderen Job. Wenn sie Pech hat, landet sie, wie immer mehr laotische Frauen, in den Bars und Bordellen von Thailand.