Beim Analytiker

■ Szenen einer mißlungenen Therapie: Eine sogenannte Diskussion über die „Junge Welt“

Der Rote Salon der Berliner Volksbühne sieht von außen aus wie ein Puff und von innen wie ein säkulares Kloster. Am Donnerstag abend versuchte man dort eine Diskussion über Frühgeschichte, Gegenwart und Zukunft der Jungen Welt im besonderen und über den Charakter „linker Tageszeitungen“ im allgemeinen.

Da wir die reformistische taz nur lesen, wenn wir auch selbst drinstehen, und es bis jetzt noch immer nicht so recht geschafft haben, uns täglich die Junge Welt zuzumuten, fehlte uns die Kenntnis über allerlei innere Querelen, die ausgiebig zur Sprache kamen.

Hauptsächlich ging es um die Frage, ob die Junge Welt schon 1990 unter ihrem damaligen Chefredakteur Jens König, heute Redakteur bei der taz, eine linke Zeitung gewesen war oder ob die Erweckung erst im Mai 1994 stattfand, als die Hamburger Gremliza- Truppe mit der reinen Lehre und neuem Zeitungskonzept anrückte.

König mühte sich, die damalige Situation zu beschreiben, die Zäsur des Mauerfalls, das Ende einer Ideologie, die endlich wahrgenommene Unübersichtlichkeit der Welt. Moderatorin Regina General vom Freitag gab sich alle Mühe, diese Worte dem Herrn aus Hamburg zu übersetzen: „Man muß doch verstehen, daß es Skepsis war, ein Weltbild zerbrochen war, und keiner sofort wieder auf eine neue Ideologie Lust hatte.“ Oliver Tolmein, in den 80ern Redakteur bei der taz, der jetzt als Chefredakteur der Jungen Welt fungiert, aber eher die Attitüde eine Tschekakommissars hat, juckte das nicht im geringsten: „Es geht um die richtige Analyse, um nichts sonst.“ Und die richtige Analyse bestand darin, festzustellen, daß das Schlimmste am Sozialismus „bürokratische Verformungen“ gewesen seien, da sie linke Traditionen verschütteten, daß ansonsten der Mauerfall der „Beginn des Nationalwahns“ sei und das „Leben in der BRD höchst brutal“. Dennoch, so Tolmein, solle die reiche BRD viele Flüchtlinge aufnehmen, da sie es hier „besser als anderswo“ hätten, wo wahrscheinlich der Komparativ von „höchst brutal“ herrscht. Ansonsten fühlte sich der Mann in seiner eigenen Wirrnis sichtlich wohl, sprach das Wort „Analyse“ wie ein Ave Maria aus und mampfte Erdnüsse – ganz im Gegensatz zum leicht unsicheren König, der keine Gewißheiten bieten konnte und deshalb auch nicht so schön endkonsequent wirkte.

Sowohl König wie General versuchten immer wieder, den Bruch in ihren Biographien zu beschreiben, das langsame Herauswachsen aus Unmündigkeit, und merkten nicht, daß sie hier völlig an der falschen Adresse waren. Ein nachsichtiges Grinsen war noch das Äußerste, was „Analyse, Analyse“- Tolmein zugestand. Sein Vater war Bundeswehroffizier. Dafür kann er nichts. Allerdings war zu beobachten, daß der Sohn mit der Komplexität des Lebens so umging wie eventuell der Papa mit den Rekruten. Das vereint ihn mit anderen Sprößlingen der ostwestlichen Nomenklatur: ein menschenverachtender Duktus, leicht hysterisch und paranoid, die Weltgeschichte wie eine Managersitzung behandelnd. Der Blick auf die Wirklichkeit ist der Blick aus einem gepanzerten Benz geblieben, auch wenn er jetzt vorne den roten Stern aufgeschraubt hat. Irgendwann wurde es sogar der gewiß nicht bürgerlicher Abweichung verdächtigen stellvertretenden PDS-Vorsitzenden Angela Marquardt zuviel: „Ich hab' keinen Bock, eine Zeitung zu lesen, die mir jeden Tag die richtige Meinung vorgeben will – das hatte ich 18 Jahre in der DDR!“ Ironie der Geschichte: Kaum hatte man im Osten die alte Ideologie abgestreift, kam sie mit dem Hamburger Gremliza-Verstand wieder frisch und tiefgekühlt ins Land.

Sollte man sich nun darüber empören, das dieses [Marko, faß! der K.] mental neorechte Pack mit seinen monolithischen Ideen und holzschnittartigen Erklärungsmustern das emanzipatorisch gemeine Wörtchen „links“ für sich requiriert hat? Doch während Gremliza wenigstens noch ein zackiger deutscher „Fahrdienstleiter“ war, der den Kriegsrechtsgeneral Jaruzelski bejubelte, ist Tolmein eher ein Busschaffner auf einer stillgelegten Nebenstrecke. Die einen verdienen Geld, indem sie Plastikpuppen für verklemmte Männer verkaufen, die anderen, indem sie Zeitungen für ein identitätssüchtiges Jungvolk produzieren; warum nicht. Beide fühlen sich im Kapitalismus wohl. Aber gleich ernsthafte Podiumsgespräche über diese unterschiedlichen Arten von Wichsvorlagen führen? Da wenden wir uns vergnüglicheren Dingen zu. Marko Martin