Durch Kampf zur Erleuchtung

Immer mehr Menschen interessieren sich für asiatischen Kampfsport / Im Mittelpunkt steht die Idee einer Einheit von Körper und Geist  ■ Von Lars Klaaßen

Für viele Kids ist Kampfsport nur ein Mittel, um sich auf der Straße behaupten zu können. Doch längst sind die asiatischen Selbstverteidigungsmethoden keine bloßen Schlägerpraktiken mehr für die Halbwüchsigen. Immer mehr Leute wählen auf der Suche nach der Selbsterfahrung einen neuen Weg – den asiatischen. Die Branche boomt. Gerade im Ostteil der Stadt steigt die Nachfrage nach der Körperkunst des Fernen Ostens beträchtlich. Denn die asiatische Selbstverteidigung basiert auf der Idee, daß Körper und Geist eine Einheit bilden, die durch entsprechendes Training entwickelt wird. Außenstehende finden nicht ohne weiteres Zugang zu dieser Theorie, zumal die verschiedenen Ansätze den Grundgedanken auf den ersten Blick eher verwirren als erklären.

Eine der bekanntesten asiatischen Kampfsportarten ist Karate. Doch selbst hier ist die Sache nicht so einfach, wie sie scheinen mag: „Es gibt zwei sehr unterschiedliche Varianten“, erklärt Kurtulus Atilgan, Trainer im Charlottenburger Sport- und Freizeitpark Banzai. „Beim traditionellen Wadoryu Karate, das auch wir anbieten, werden die Schläge abgestoppt, während beim Seidokan Karate Vollkontakt praktiziert wird.“ Das heißt, ein Schlag trifft den Gegner ungemildert, was den Charakter des Kampfes stark verändert.

Atilgan betont, daß nicht der reine Kampf im Vordergrund stehe. Mit Meditationsübungen und Gymnastik sollen seine Karateschüler Körperbewußtsein erlangen: „Die fließenden Bewegungen haben auch physiotherapeutisch positive Auswirkungen.“ Im Mittelpunkt stehen die Atmung und das Training der Hüftbewegungen. Viele Jugendliche, so Atilgan, kämen ins Studio, um sich für Straßenkämpfe fit zu machen. Da müsse das Bewußtsein der Kids verändert werden. „Denn das Streetfighter-Gehabe aus Amerika ist nicht in unserem Sinne.“

Weniger bekannt, aber in den letzten Jahren zunehmend beliebt ist Taekwondo. Das heißt soviel wie „Kunst des Hand- und Fußkampfes“. „Diese koreanische Kampfmethode basiert stärker auf der Fußarbeit als Karate“, erklärt Byungku Jung. Er ist der erste Großmeister, der in Mitte eine Taekwondo Schule eröffnet hat. Konzentration, Ruhe und Disziplin sind für ihn die Grundvoraussetzungen für diesen Sport: „Bei den schwierigen Bewegungsabläufen muß alles zusammenspielen.“ Ein ganzheitlicher Ansatz in der Verbindung von Körper und Geist ergibt sich also schon beim Praktizieren der Übungen. Die Betonung des Geistig-Seelischen geht aber noch über die Anforderungen für Wettkämpfe hinaus. Das stark auf moralischer Kultur liegende Gewicht dient auch der Entfaltung des Charakters: „Ohne diesen Nachdruck könnte man dem Lehrer vorwerfen, daß er seinen Schülern eine verheerende Kraft vermittele, mit der sie nicht angemessen umgehen können“, warnt Chong-Kwan Choi, Leiter einer Taekwondo-Schule in Kreuzberg, vor Mißbrauch. Der erzieherische Ansatz basiert auf kulturellen Unterschieden zwischen Asien und Europa, die bewußt aufrechterhalten werden: Choi betrachtet Taekwondo als Mittel, um sich von der modernen, selbstsüchtigen Gesellschaft abzuwenden. Statt dessen soll eine sittliche Gesellschaft angestrebt werden, geprägt durch Selbstdisziplin, Aufopferung und Ergebenheit.

Beim Aikido hingegen treten Wettkampfaspekte und Charakterbildung in den Hintergrund. Hier dominieren Harmonie und das Miteinander der Übenden. „Aikido ist Kunst am Körper“, für Horst Späthling, der ein Aikido- Zentrum in Mitte leitet. Im Gegensatz zu den obengenannten Kampfsportarten ist diese Körperkunst noch sehr jung. Der Begründer des Aikido, Ueshiba O'sensei, starb 1968. „Erst seine Schüler haben die einzelnen Bewegungsabläufe schließlich systematisiert, so Späthling. Elemente anderer asiatischer Selbstverteidigungssysteme flossen ins Aikido mit ein. Am Anfang stand auch hier Budo („der Weg“), eine Kriegskunst, die auf dem Prinzip der Persönlichkeitsentwicklung basiert. „Während die meisten anderen Methoden zu bloßen Wettkämpfen verkommen sind, hat sich im Aikido der ganzheitliche Ansatz am reinsten bewahrt“, meint Ulrike Serak vom Aikido Dojo in Wilmersdorf. Sie ist die einzige Frau in Deutschland, die solch ein Studio leitet.

Kritiker empfinden die Übungen als zu ritualisiert, räumt Serak ein. Doch gerade die Unmöglichkeit eines Wettkampfes berge Chancen: „Da kein Ziel vorgegeben ist, bleibt mehr Raum für die persönliche Entwicklung“, argumentiert die Dojo-Chefin. „Aikido ist Meditation in Bewegung.“ – Shaolin-Kempo hat ganz ähnliche Ziele: Unter dem Oberbegriff Kung-Fu („regelmäßig üben“) lehrt Hans Hendricks, Leiter von Egnoka, diese exotisch klingende Kampfkunst. Der Name seines Studios ist Programm: „Egnoka heißt ,ich habe erkannt‘“, erklärt er. Zu erkennen ist für seine Schüler in erster Linie die Energie des eigenen Körpers. Die Bewegungen sind denen von Karate ähnlich. Shaolin-Kempo sei jedoch nicht so eckig, so Hendricks. Die Kampfkunst ist in vier Disziplinen unterteilt, die aufeinander aufbauen: Über die meditative und dynamische Phase werden die Schüler an Schattenkämpfe herangeführt. Erst danach werden auf der sogenannten Ai-Stufe die Würfe, Faust- und Beinangriffe erlernt.