Kalte Heimat im Kino und in Babelsberg

■ Die alte „Dokfilm“ am Babelsberger Park ist noch nicht abgewickelt, da arbeitet die neue „Dokfilm Fernsehproduktion GmbH“ bereits / Konkurrenzdenken oder Rettungsaktion?

Auf den ersten Blick erinnern nur die unzähligen Standbilder an den Wänden an die Zeiten, in denen hier emsig geschrieben, gedreht und geschnitten wurde. Ansonsten wirkt das Haus neben dem Babelsberger Park verwaist. In dem riesigen Atelier ist gerade einmal eine Lampe stehengeblieben, das Schneidehaus ist abgeschlossen. Die Schnittplätze sind ohnehin weg. Von ehemals 400 Mitarbeitern harren hier noch 15 der Dinge, die auf sie zurollen. In diesem Jahr soll die traditionsreiche „Dokfilm Gesellschaft für Film- und Fernsehproduktion mbH“ endgültig abgewickelt werden. Zu DDR-Zeiten wurden in den Gebäuden unweit des ehemaligen Defa-Spielfilmgeländes vom „VEB Defa-Studio für Dokumentarfilme“ unzählige Non-Fiction- Filme für Kino und Fernsehen produziert: Vom Porträt einer Melkerin bis zu Dokumentationen über das deutsch-britische Verhältnis („Von Marx und Engels zu Marks and Spencer“).

Seit dem Mauerfall bietet die Dokfilm selber Material für eine Dokumentation über Mißmanagement und gescheiterte Privatisierung. Zahlreiche Regisseure, Filmemacher und Aufnahmeleiter, die sich über die Grenzen der DDR hinaus einen Ruf verschafft hatten, wurden wahllos auf die Straße gesetzt. Nach mehreren abgebrochenen Verhandlungen verkaufte die Treuhand das Gelände 1993 an einen zahlungsunfähigen Münchner Werbefilmer. Der Verkauf wurde nach sechs Monaten rückgängig gemacht. Der Berliner Teil der Dokfilm, der in der DDR weitere 500 Mitarbeiter beschäftigt hatte, wurde an Leo Kirch verkauft, der unter anderem die Synchronstudios in Johannisthal betreibt.

Nach dem gescheiterten Verkauf in Babelsberg legte sich die Treuhand noch einmal ins Zeug. Moderne Schnittplätze wurden installiert, Grafikcomputer angeschafft, Kameras gekauft. „Nur um das Management hat sich keiner gekümmert“, erzählt Axel Otten, Regisseur und Betriebsratsvorsitzender. Ihre Aufträge mußten sich die Filmemacher und Regisseure selber suchen. Potentielle Kaufinteressenten interessierten sich oft „mehr für das schöne Gelände und die Immobilie mit Blick auf den Park“, vermutet Otten. Als mit dem ehemaligen Schlöndorff-Mitarbeiter Alexander von Eschwege im Sommer 1994 der vierte Geschäftsführer seit dem Mauerfall die Sachen packte, sei die Auftragslage endgültig am Ende gewesen. Den verbliebenen 40 Mitarbeitern wurde ein neuer Geschäftsführer ins Haus geschickt – mit der Maßgabe, den Laden endgültig abzuwickeln.

Derweil wurde von anderer Seite über das Fortbestehen der Dokfilm verhandelt. Der ORB, die Studio Babelsberg GmbH unter der Regie von Volker Schlöndorff und der Filmemacher Rudolf Steiner traten in Verhandlungen mit der Treuhandanstalt, um Dokfilm auf dem ehemaligen Defa-Spielfilmgelände weiterzuführen – mit Erfolg. Seit dem 1. Januar arbeiten dort elf Leute in der neugegründeten „Dokfilm Fernsehproduktion GmbH“, von denen sieben von der alten Dokfilm übernommen wurden. Am 6. Januar holten sie mit einem Umzugswagen das Material von dem alten Standort ab: Schneidemaschinen, Computer, Kameras. Axel Otten und seine 14 Kollegen, unter ihnen zwei Regisseure, ein Kameramann und ein Produktionsleiter, führen ihre Projekte mit geliehenem Material weiter. Zwei Dokumentationen über den Umzug des Bundestages und über den zweiten Brandenburger Landtag stehen noch aus.

Die neuen Dokfilmer gehen derweil voller Tatendrang an die Arbeit. Aufträge für die Produktion der ORB-Magazine „Ungeschminkt“ und „Kaos“ sind bereits im Kasten. Den Vorwurf, mit der Gründung der neuen „Dokfilm Fernsehproduktion GmbH“ zum Ausverkauf der alten beigetragen zu haben, weist Steiner, der selber Filmemacher in der DDR war, weit von sich. „Nur mit dieser Rettungsaktion konnten wir etwas von Dokfilm bewahren“, erklärt er. Mit dem neuen Projekt wolle er den Dokumentarfilm wiederbeleben. „Ideen haben wir genug – für Kino und Fernsehen. Vielleicht können wir ein ganzes Doku-Fenster im ORB füllen.“ Dazu gehöre auch, „die kreativen Leute aus der alten Dokfilm wieder zu sammeln“. Unter ihnen Volker Koepp, dessen Film „Kalte Heimat“ heute auf der Berlinale vorgestellt wird. Jeannette Goddar