Bürgerbeteiligung abgesoffen

Niederländische Regierung legt millionenschweres Notstandsprogramm für Verstärkung der Flußdeiche vor / Umweltschützer können damit leben  ■ Von Henk Raijer

Berlin (taz) – „Besonderer Delta-Plan für die großen Flüsse“ nennt sich das Notstandsgesetz, mit dem die niederländische Regierung die Verstärkung der Deiche an Maas und Waal sofort in Angriff nehmen will. Schon im April soll in den vom letzten Hochwasser am schwersten betroffenen Gebieten mit den Arbeiten begonnen werden. So sieht es der Entwurf von Verkehrsministerin Annemarie Jorritsma vor, den sie gestern von ihren Kabinettskollegen absegnen lassen wollte.

Zwei Jahre lang sollen in den Poldergebieten Gelderlands und an der Maas in Limburg die gröbsten Schwachstellen ausgebessert werden, ohne daß „lästige“ Einwendungsverfahren die Projekte verzögern. Die vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfungen sollen in diesem Zeitraum nicht so detailliert wie sonst üblich vorgenommen werden. Ganz unter den Tisch fallen die Interessen der Umweltbewegung jedoch nicht, sicherte Jorritsma besorgten Naturschützern zu. Immerhin werde den Anwohnern und Interessengruppen eine Einspruchsfrist von zwei Wochen gewährt, um ihre Bedenken gegen naturverschandelnde Maßnahmen vorzubringen.

Die zweite „Jahrhundertflut“ innerhalb von 13 Monaten hatte für die Behörden der vom Hochwasser betroffenen Gebiete das Faß zum Überlaufen gebracht. Schuld an der wiederholten Katastrophe seien die Umweltschützer, die sich „jeglichem vernünftigen Argument“ verweigert hätten, behaupteten sie. Diesen Schuh ziehen sich die Umweltverbände allerdings nicht an. Marijke Brunt von der „Stichting Natuur en Milieu“ in Utrecht meint: „Die Regierung selbst hat dringend notwendige Maßnahmen immer wieder verzögert, indem sie fast jede Einwendung mit dem zeitraubenden Gang zum Gericht beantwortete.“

Nun soll die ganze Sache in eine Stromschnelle geraten. Wurde bislang als Datum für den Abschluß der Reparaturen immer das Jahr 2008 genannt, so sollen in Gelderland insgesamt 355 brüchige Deichkilometer an Maas, Waal, Ijssel und Lek bereits im Jahr 2000 verstärkt sein. Für die Maasufer zwischen Maastricht und Nijmegen wird 2005 angestrebt.

Nachdem sich die Verkehrsministerin im Lauf der Woche mehrmals mit Vertretern der Umweltverbände, Kommunen und Provinzbehörden getroffen hat, gilt es als sicher, daß der „Delta-Plan“ in der kommenden Woche die von der Verfassung vorgegebenen Hürden nehmen wird. „Wir können damit leben“, verkündete Ria Beckers, die für „Natuur en Milieu“ an den Gesprächen teilgenommen hat. Zumal von den vorrangig projektierten 80 Kilometern in Gelderland ohnehin schon die Hälfte entsprechend den Vorstellungen der Ökobewegung – sicher und naturschonend – unter Dach und Fach gewesen sei.

350 Millionen Gulden (zirka 310 Millionen Mark) hat die Regierung in Den Haag für die Deichverstärkungen der nächsten zwei Jahre zugesagt, 100 Millionen legen die Provinzen noch mal drauf. Um weiterführende Maßnahmen wie etwa die Vertiefung und Verbreiterung der Maas zu finanzieren, arbeitet die Regierung an einem Investitionsfonds, mit dem sie Unternehmer und Privatpersonen motivieren will, insgesamt eine Milliarde Gulden (etwa 880 Millionen Mark) zu steuerlich günstigen Konditionen einzulegen.