Der Abschiebung folgt die Inhaftierung

■ Monika Kadur, Nahostexpertin von amnesty international, über den Umgang mit Flüchtlingen aus Algerien / Gerichte und Anerkennungsbehörden ignorieren die sich häufenden Menschenrechtsverletzungen

taz: Ein algerischer Flüchtling, der kürzlich aus Niedersachsen über den Frankfurter Flughafen abgeschoben wurde, ist nach Angaben der Heimatbehörden auf dem Zielflughafen nie angekommen. Ist dieses spurlose Verschwinden ein Einzelfall?

Monika Kadur: Nein, amnesty international erhält seit Monaten vermehrt Berichte über Flüchtlinge, die nach ihrer Abschiebung aus der Bundesrepublik in Algerien verschwinden. Familienangehörige bekommen von den algerischen Behörden keine Auskunft über den Verbleib der Flüchtlinge. Ihnen wird etwa von den Flughafenbehörden erklärt, der Flüchtling sei überhaupt nicht im Flugzeug gewesen. In einem Fall, im Juli letzten Jahres, hatten Angehörige den Sohn der Familie, der die Paßkontrolle noch passieren mußte, bereits auf dem Flughafen gesehen. Dennoch leugneten die Behörden später, daß dieser Flüchtling überhaupt angekommen sei. Man muß davon ausgehen, daß die Verschwundenen von den Sicherheitsbehörden in Haft genommen werden.

Im niedersächsischen Innenministerium nimmt man an, daß gerade abgeschobene Anhänger der FIS jeden Kontakt mit den Behörden vermeiden und abtauchen.

So ist das Verschwinden von Flüchtlingen sicher nicht zu erklären. Die Generaldirektion der algerischen Staatssicherheit hat im vergangenen August gegenüber der arabischsprachigen Zeitung El Watar selbst erklärt, daß abgeschobene Rückkehrer in Algerien in aller Regel inhaftiert und vernommen würden. Nach den uns vorliegenden Berichten werden die zwangsweise Zurückgeschobenen zum Teil bereits auf dem Rollfeld in einen gesonderten Bus und anschließend in einen gesonderten Teil des Flughafengebäudes verbracht. Andere Flüchtlinge werden außerhalb des Flughafens in einer Polizeikaserne drei bis vier Tage lang vernommen. Es ist illusorisch, anzunehmen, daß die Flüchtlinge untertauchen können.

Wie lange kann eine solche Inhaftierung von abgeschobenen Flüchtlingen dauern?

Das läßt sich natürlich nicht genau sagen. Über Verschwundene gibt es eben keine weiteren Nachrichten. Der im vergangenen Juli abgeschobene Flüchtling, dessen Schicksal ich vorhin angesprochen haben, ist bis heute nicht wieder aufgetaucht, obwohl die Angehörigen verzweifelt nach ihm gesucht haben. amnesty hatte sich damals gegen seine Abschiebung gewandt, weil ihm sowohl von den algerischen Sicherheitskräften als auch von Gruppen bewaffneter Islamisten Gefahr drohte.

Das algerische Generalkonsulat in der Bundesrepublik stellt algerischen Abschiebehäftlingen nur dann die nötigen Reisepapiere aus, wenn diese sich zuvor einer Vernehmung unterziehen. Die Länder-Innenministerien organisieren die Vorführung der Flüchtlinge.

Zunächst einmal sitzen nach Ansicht von amnesty international in der Bundesrepublik viele algerische Staatsangehörige zu Unrecht in Abschiebehaft, da sie bei einer Rückkehr nach Algerien in der Gefahr stehen, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden. Die Zwangsvorführung bei algerischen Konsularbeamten schüchtert die Flüchtlinge nicht nur ein, sondern gefährdet sie zusätzlich. Bei den Zwangsvorführungen, die in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und auch in Niedersachsen bereits stattgefunden haben, wurden die Flüchtlinge nicht nur nach ihren Personalien gefragt, sondern auch nach ihren Kontakten zu anderen in der Bundesrepublik lebenden algerischen Staatsangehörigen. Bei Flüchtlingen, die in Opposition zur algerischen Regierung stehen, können diese Befragungen auch in Algerien lebende Familienangehörige in Gefahr bringen. In Algerien gibt es immer wieder Fälle von Sippen- oder Geiselhaft.

Ohne Anhörung erhalten die Flüchtlinge keine Papiere und bleiben in Haft. Wie sollen die Behörden verfahren?

Zu kritisieren sind vielfach bereits die Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Beim Bundesamt und auch bei den Verwaltungsgerichten werden die Menschenrechtsverletzungen nicht ausreichend berücksichtigt. Den Entscheidungsträgern mangelt es an Hintergrundkenntnissen. Sie beziehen sich in der Regel auf die Berichte des Auswärtigen Amtes, in denen die sich häufenden Menschenrechtsverletzungen in Algerien bagatellisiert werden. Algerische Flüchtlinge werden oft von vornherein als unglaubwürdig eingestuft, ihre Asylanträge werden als offensichtlich unbegründet abgelehnt, so daß ihnen nur eingeschränkte Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Bundesamtes bleiben. Nach Auffassung von ai ist es zur Zeit unmenschlich, Abschiebungen nach Algerien durchzuführen, da angesichts des latenten Bürgerkrieges alle Individuen mit einer Gefahr für Leib und Leben zu rechnen haben. Interview: Jürgen Voges