■ Überraschend schaltete sich der mexikanische Präsident Donnerstag abend ins Fernsehprogramm ein, enthüllte die Identität des Zapatisten-Führers Marcos (aber ist er's wirklich?) und kündigte eine
: Zedillo pokert, Marcos versteckt sich

Überraschend schaltete sich der mexikanische Präsident Donnerstag abend ins Fernsehprogramm ein, enthüllte die Identität des Zapatisten-Führers Marcos (aber ist er's wirklich?) und kündigte eine militärische Offensive gegen die Aufständischen an

Zedillo pokert, Marcos versteckt sich

Mexikos Präsident Ernesto Zedillo hat die Nase voll. Ein Jahr und vierzig Tage nach Beginn des zapatistischen Aufstandes im Bundesstaat Chiapas zu Jahresbeginn 1994 hat Mexikos Staatschef am späten Donnerstag abend alle Möglichkeiten für eine friedliche politische Lösung des Konflikts verworfen. Mit den Zapatistas könne man nicht verhandeln, sagte Zedillo, nur mit „Drohungen und dem Bruch des Waffenstillstandes, mit bewaffneten und gewaltsamen Aktionen in verschiedenen Gemeinden in Chiapas“ hätten die KämpferInnen des Zapatistischen Volksheeres (EZLN) auf die Verhandlungsbereitschaft der Regierung reagiert.

Bei Razzien der Polizei in der Bundeshauptstadt Mexiko-Stadt und in Veracruz waren am Mittwoch zwei Verstecke der Guerilla ausgehoben und mehrere Guerilla-FührerInnen verhaftet worden. Bei ihnen seien, so berichtete Zedillo in einer überraschend ins Programm genommenen Fernsehansprache am Donnerstag abend, nicht nur Granatwerfer und Maschinengewehre, Handgranaten und Sprengstoff gefunden worden, sondern auch konkrete Pläne für terroristische Anschläge in verschiedenen Landesteilen.

Eine der festgenommenen Guerilleras, Subcomandante Elisa, habe auch das Geheimnis der Identität von Marcos und anderen zapatistischen Führungspersönlichkeiten preisgegeben. Eine Enthüllung, die es Zedillo ermöglichte, noch am Donnerstag abend die Polizei anzuweisen, Marcos und vier andere Zapatista-FührerInnen aufzuspüren und festzunehmen. Wenn nötig – und das ist offensichtlich – mit Unterstützung der Armee.

Die rückte bereits am Abend mit etwa 600 Soldaten, gepanzerten Fahrzeugen und Artilleriegeschützen in den Ort San Andrés Larrainzar ein, 25 Kilometer von San Cristóbal entfernt. In der inzwischen so benannten „Friedenskathedrale“ von San Cristóbal hatten im vergangenen Jahr unter Vermittlung von Bischof Ruiz die Verhandlungen zwischen den maskierten Abgesandten der Guerilla und der Regierung stattgefunden. Das damals ausgehandelte Regierungsangebot war auf die meisten der sozialen Forderungen der indianischen Guerilla eingegangen, hatte das allgemeine Verlangen nach Rücktritt der damaligen Salinas-Regierung aber außer acht gelassen.

Eben aus diesem Grunde hatten die Zapatistas im Juni nach Befragung ihrer Basis das Abkommen abgelehnt. Seither hatte die Guerilla mehrfach mit der Wiederaufnahme des Krieges gedroht, aber erst am 19. Dezember hatte sie mit der Besetzung verschiedener Städte ihre Drohung wahrgemacht – und damit die schwerste Krise der mexikanischen Währung ausgelöst, die das Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs führte, aus dem es nur mit Milliarden-Dollarhilfen aus den USA wieder herauskommt.

Offenbar steckt der Präsident jetzt in einer Klemme, die ihn dazu bringt, die Bedenken gegen die möglichen innenpolitischen Kosten einer militärischen Lösung zurückzustellen. Schon berichten Journalisten aus der Gegend um San Cristóbal de las Casas von Kriegsvorbereitungen beider Seiten. Schützengräben würden ausgehoben, die Armee sei dabei, durch die Beseitigung von Pflanzenwuchs freies Schußfeld zu schaffen, Militärhubschrauber kreisten über dem lakandonischen Regenwald, und die Zapatistas seien damit beschäftigt, Bäume zu fällen und die Zugänge zu dem von ihnen kontrollierten Gebiet mit Minen zu bestücken. „Alarmstufe Rot“ hätte die EZLN an ihre Einheiten ausgegeben, heißt es.

Und dennoch: Würde Zedillo tatsächlich auf die militärische Karte setzen, könnte er eigentlich nur verlieren. Um Marcos und die EZLN-Führung tatsächlich im Regenwald verhaften zu können, müßte die Guerilla vorher besiegt sein. Wochenlangen Krieg kann sich Zedillo weder innen- noch außenpolitisch leisten – schon vor einem Jahr gingen in Windeseile die Bilder von erschossenen indianischen Aufständischen mit gefesselten Händen durch die Medien, und Menschenrechtsgruppen weltweit sorgten dafür, daß das nach Modernität und dem Beitritt zur Ersten Welt strebende Mexiko sich an den Pranger gestellt sah wie sonst eher der südliche Nachbar Guatemala. Ein schneller Sieg aber ist im undurchdringlichen Regenwald gegen eine Guerilla mit Heimvorteil kaum zu haben. Dazu kommt die Befürchtung, daß die Wahl der militärischen Option in Chiapas auch in anderen Teilen des Landes zur Eskalation führt. Schon vor drei Wochen hatte es im Bundesstaat Tabasco Unruhen bei Protesten gegen den ungeliebten Gouverneur der ewigen Staatspartei PRI gegeben, und im ganzen letzten Jahr hatte die zapatistische Guerilla ihre Anhängerschaft unter den Bauern sichtbar auf andere Bundesstaaten ausgedehnt.

So erscheint es zwar verlogen, wenn Zedillo einerseits anordnet, die Aufständischen zu verhaften, gleichzeitig aber in seiner Fernsehansprache verkündet, das bedeute nicht, „daß die Regierung eine gewaltsame Lösung des Konfliktes in Chiapas bevorzugt“. Auch seine „feste Überzeugung, daß die heute durchgeführten Aktionen einen entscheidenden Schritt zur Erlangung eines gerechten und endgültigen Friedens in Chiapas darstellen“, klingt weniger nach Lösung, als nach Drohung. Tatsächlich aber dürfte es dabei auch im wesentlichen bleiben.

Zedillo kann eigentlich nicht wirklich an eine militärische Lösung glauben – er pokert: Im Dezember brachte eine Offensive der Guerilla die Regierung unter Druck, die Investoren in Panik und die Wirtschaft zum Kollaps. Jetzt, wo die Regierung auf die Kredite vor allem der USA angewiesen ist, muß sie ein Zeichen von Stabilität setzen, und wo die nicht zu haben ist, soll wenigstens Handlungsfähigkeit demonstriert werden. Die nächsten Tage werden zeigen, wie weit Präsident Zedillo damit kommt.

Bischof Samuel Ruiz, der vom Vatikan ungeliebte Vermittler aus San Cristóbal, hat sich bereits voller Sorge in die Hauptstadt aufgemacht. Der Bischof, den der Präsident erst nach langem Drängen der Zapatistas wieder als Vermittler anerkannte, nachdem er ihn vorher als parteiisch bezeichnet hatte, warnte gestern vor einer Zuspitzung des Konflikts und bot weitere Vermittlungsbemühungen an. Bernd Pickert