Kohl wirbt in USA für Jelzin

■ Duzfreund angeblich Garant für Rußlands territoriale Integrität / Tausende desertieren

Washington/Moskau (taz/dpa/AP) – Unverbrüchliche Freundschaft mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin bewies Bundeskanzler Helmut Kohl erneut in Washington: Wegen der Vorgänge in Tschetschenien dürfe man Jelzin und die Reformkräfte keinesfalls isolieren, warnte er nach seinem Treffen mit US-Präsident Bill Clinton und anderen hochrangigen US-Politikern am Donnerstag. „Dies würde einen Rückfall in schlimme Zeiten provozieren“, meinte er. Rußland müsse bei der Wahrung seiner territorialen Integrität unterstützt werden. Jelzin seinerseits dürfe die in ihn gesetzten Erwartungen nicht enttäuschen. Da sei man sich einig.

Kohl hatte den Gesprächen mit führenden republikanischen Politikern, darunter der Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, und der Mehrheitsführer im Senat, Robert Dole, mit Skepsis entgegengesehen, hieß es aus Kreisen der deutschen Delegation. Beide hatten sich angesichts des Krieges in Tschetschenien und der Menschenrechtsverletzungen für einen härteren Kurs Clintons gegen Jelzin ausgesprochen. Schließlich habe es aber „keinen Widerspruch zu Kohls Ausführungen“ gegeben, was die Rußland- und Bosnien-Politik angehe, erklärten hohe Bonner Regierungsbeamte gestern während der Rückreise Kohls. Auch in der Frage einer Osterweiterung der Nato waren sich Kohl und Clinton, aber auch die Spitzen des US-Kongresses weitgehend einig. Es solle aber zunächst vermieden werden, ein Datum für die Ausdehnung der westlichen Allianz festzulegen.

Für mehr als 3.000 in Tschetschenien eingesetzte russische Soldaten sind die „Vorgänge“ in dieser Region so unerträglich, daß sie desertierten, berichtet die Nachrichtenagentur Itar-TASS unter Berufung auf den Vorsitzenden der Friedensgruppe Bewegung gegen Gewalt, Sergej Sorokin. Die meisten der jungen Männer seien nach Hause zurückgekehrt. Ihnen drohten nun ein Verfahren wegen Fahnenflucht und bis zu sieben Jahre Haft. li

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