Champion der Sachlichkeit

Nach einem problemlos-perfekten Sieg über Egerton Marcus nimmt Weltmeister Henry Maske Kurs auf Graciano Rocchigiani  ■ Aus Frankfurt am Main Peter Unfried

„Lassen Sie Ihre Gegenwart leuchten“, so hatte es RTL altruistisch angeordnet und gleich noch das dazu nötige Lämplein verteilen lassen. Und also leuchtete ein Meer von tausend Lichtern, jagte ein 90.000 Mark teurer Laser durch die Lüfte und das verdammt popwagneresk-miese „Conquest of Paradise“ bumberte, als Henry Maske, den Kopf unter der Kutte verborgen, das Kreuz unsichtbar- deutlich auf dem Rücken, zum Ort der rituellen Reinigung geleitet wurde. Wieder eine Erlösungsmetapher!

Aber Entwarnung: Jener handelsübliche Prolog ist auch schon, was Maske zu einer Inszenierung des Ordinären beitragen, was er an kollektiven Banal-Emotionen zu schaffen gewillt ist. Der Kämpfer nämlich gab in der ausverkauften Frankfurter Festhalle aufs neue nur vor, es dem Gegner mächtig zu besorgen. In Wahrheit entzieht er dem Publikum vom ersten Gong an das, wofür es gekommen ist und bezahlt hat.

Doch die Audienz hat sich leidlich daran gewöhnt und murrt nicht, da etwas verabreicht wird, das prima substituiert: Der Sieg. 118:110, 118:111, 118:110 hatten Ring- und Punktrichter auf ihre Zettelchen notiert, was allerdings nur unzureichend jenen Abstand widergibt, den der IBF-Weltmeister im Halbschwergewicht Henry Maske besser war als sein offizieller Herausforderer Egerton Marcus. Der Kanadier, unbesiegt in vierzehn Kämpfen, von IBF und WBA als Nummer eins der Weltrangliste geführt und bekannt als veritabler K.o.-Schläger, hatte gegen Maske keine Mittel und also keine Chance.

Zwar begann er zackig, doch ohne erkennbare Ahnung, wie der Kampf laufen könnte und müßte. Früh ließ seine hektische Betriebsamkeit nach und mußte sein Trainer-Manager Lou Duva sehen, „daß er Henrys Stil annahm“, und dies, wußte der Erfahrene sofort, „war der falsche Weg“. Marcus tat fortan nur noch, was Maske ihn hieß, als habe er akzeptiert, daß der Körper des einen halben Kopf größeren und also reichweitenbevorteilten Weltmeisters für ihn unerreichbar weit weg bleiben werde. Marcus wartete nur noch „auf den Lucky Punch“, mochte Duva glauben, eigentlich aber auf das Ende der zwölf Runden.

Währenddessen punktete Henry Maske verteidigend, ohne jemals der Versuchung zu verfallen, die Linke herauskrachen zu lassen, so wie sein Trainer Manfred Wolke sich das vorstellt: „Werde nicht zu aktiv, gehe kein Risiko ein“, hieß der ihn. Und: „Führe einen sachlichen Kampf.“ Einen, der ohne störende Elemente wie „Haß, Wut, Zorn“, selbst „Aggression“ (Wolke) auskommt. Es war aus seiner Sicht ein perfekter Kampf.

Herr Lou Duva war entsetzt: „Wenn Henry noch mehr Selbstvertrauen bekommt“, vermutete der alte Konservative in völliger Verkennung der Umstände, „und öfter schlägt, wird er ein großer Champion.“ Einmal, immerhin, hat er draufgehalten, am Ende der siebten Runde, ein linker Aufwärtshaken war es, nach dem Marcus zu Boden ging und angezählt werden mußte. „Er hatte Glück“, sagte Maske hernach, „daß es zur Pause läutete.“ Mehr noch: „Wäre der Gong nicht gekommen“, vermutete Wolke, „hätte es ein vorzeitiges Ende gegeben.“

Es war dies aber keine Szene, der entscheidende Bedeutung zugekommen wäre, und wenn für Lou Duvas Geschmack nicht genügend geschlagen wurde, so doch wenigstens für den seines Kämpfers. „Glad it's all over“, japste der Olympiazweite von Seoul, um sich schleunigst in seiner Kabine zu übergeben und nicht mehr gesehen zu werden. Weshalb man sodann Duva ausgiebig darüber schwadronieren hören konnte, daß in den USA von einem Boxer anderes verlangt würde und Maske für den Pay-Kanal HBO „seine Schlagkombinationen ändern müßte“. Was meint: öfter feste druff.

Hier zahlt aber RTL und schafft also an, und Sportchef Burkhard Weber ist prima zufrieden. Das Produkt Maske (31) ist rundumvermarktbar mit CD, Promotion- Video und dergleichen mehr. Die Zusammenarbeit ist von seltener Fruchtbarkeit und mehrt die Besitztümer aller Beteiligten. Und gibt nicht gerade Werner Schneyder zu bedenken, daß „kein Showstar ohne Fernsehen Showstar sein könnte“? Maske weiß es und hat darum Minuten nach „einem meiner schwersten Kämpfe“ in Hypotaxe und bester Talk-Show-Manier in die Scheinwerfer parliert, daß es eine Freude war.

Einem anderen war das Licht etwas zu grell. Weswegen Graciano Rocchigiani zum aparten Tropenanzug eine interessante Sonnenbrille trug. „Sehr gut“ hat dem jungen Mann (31) Maske gefallen, weniger gut Marcus, der sich „einfach auf das lange Boxen mit Maske eingelassen hatte“. Falsch. „Den“, sagt er, „mußt du besser beschäftigen.“ Was er willens ist zu tun. Egal wann? „Richtig.“ Egal wo? „Richtig.“ Hauptsache, die Entscheidung über einen Kampf fällt „in den nächsten zwei Wochen“. Er will den Kampf, Maske will ihn, dessen Manager Sauerland holt schon mal die Million von der Bank, behält aber die Konkurrenztitelträger („Wenn der Kampf nicht stattfinden sollte, könnte Maske gegen McCallum oder Hill boxen“) im Hinterkopf. Und Gracianos Manager Klaus-Peter Kohl? „Ich hoffe“, sagt Rocchigiani, „er läßt sich umstimmen.“

Aber kann der kürzlich gegen Europameister Seillier ausgebrannt wirkende Sohn eines sardischen Eisenbiegers an gegen den Mann, der „ästhetisch wie Apollo“ (Schreinemakers live) seine Perfektionsarbeit abliefert? Und wie? Will man den schlagen, das weiß Lou Duva neuerdings, „dann muß man dicht ran.“ Dichter als Marcus jedenfalls. Und Vorsicht. „Wer einem Kämpfer wie Marcus seinen Stil aufzwingt“, das hat Duva, zwar nach einigen Schluck „Red Bull“, aber in heiligem Ernst, gesprochen, „der wird ein ganz Großer.“ Oder aber, Lou, altes Haus, ganz ehrlich und mal Hand aufs Herz: Ist es womöglich längst!