Lustvoll gequält bequem

■ Familienhölle wiederaufbereitet: Thomas Jonigks „Rottweiler“ in deutscher Erstaufführung am Münchner Cuvilliétheater

Die Familie ist eine Hölle, aus der es kein Entrinnen gibt. Das kennt man, aus dem Leben und aus der Literatur. Der Geschlechter- und Generationenkampf ist immer wieder ein ergiebiges Sujet für die Darstellung der abgründigen menschlichen Psyche mit Hang zur Bestie. Das abgrundtief Bestialische gruselt so angenehm auf der Haut, daß sich nicht Ekel und Abscheu, sondern amüsierte Beifälligkeit breitmacht.

In dieser Hölle der Familie hat es sich zur Zeit der 28jährige Berliner Theaterautor Thomas Jonigk lustvoll gequält bequem gemacht und sie zur Lieblingsspielwiese seiner bisher drei Theaterstücke erkoren, von denen das letzte, „Rottweiler“, jetzt im Münchner Cuvilliétheater zur deutschen Erstaufführung kam. Regisseurin Amélie Niermeyer und ihre Ausstatterin Stefanie Seitz präsentieren in einer rosaroten Pralinenschachtel, sprich: einem puppig gestylten Interieur einen infernalischen Psychoclinch zwischen Mutter und Tochter. Denn ihre Begegnung – der ritualisierte Besuch der Mutter bei ihrer zwar erwachsenen, aber von ihr einfach nie losgelassenen Tochter – steigert sich spätestens mit der unerwarteten Ankunft des Bekannten der Tochter ins Monströse, zu einem einzigen Taumel der Besessenheit, zu einem tierischen Sich-Zerfleischen. Deshalb wohl auch der Titel „Rottweiler“: „Riesige Rottweiler, die gerade fressen, ihre Zähne fletschen, jemanden in Stücke reißen oder dergleichen“, sollen laut Regieanweisung am Ende des Stückes auf einer Leinwand gezeigt werden.

Doch von dieser plakativen Direktheit hat Amélie Niermeyer Abstand genommen, sie bietet uns Traute-Heim-Idylle vor trügerisch weiß-blauem Himmel. Nur während des Sexanmachespiels zwischen der Mutter und dem Bekannten der Tochter hören wir einmal aus der Ferne Hundegeheul – die Mutter wohnt im Nachbarhaus, „gleich hinter den Rottweilern“. Ansonsten liebt es Amélie Niermeyer zwar grell und schrill, aber hündisch nur in dem Maße, wie die Personen des Stückes psychisch auf den Hund gekommen sind. Und das macht der Autor allein schon durch die bellenden Phrasen deutlich, mit denen sich seine Akteure gegenseitig abtun beziehungsweise in Schach halten.

Sie bewegen sich wie auf Schienen, gefangen in den tragischen Deformationen ihres Selbst: ferngesteuert wie die von der Tochter mittels Fernbedienung in Gang gesetzten Geräte wie Fernseher, Aquarium und Kaffeemaschine.

Mutter und Tochter zelebrieren ihre naturgemäße Verbundenheit als eine ununterbrochene Zerreißprobe von Macht und Ohnmacht, als Dominieren und Domestiziertwerden. Juliane Köhler spielt die Tochter mit fahrigen schüchternen Bewegungen, eingezogenem Kopf und zusammengekniffenen Knie: eine geschundene Kreatur, der das Introjekt ihres getrübten Ich, die Mutter, auch zum alleinigen Thema ihrer Bilder geworden ist. In München waren noch nicht einmal diese zu sehen, wie vom Autor vorgeschlagen. Nur schwarze Bilderrahmen hingen an den Wänden, gefüllt mit nichts – deutlicher geht es kaum.

Die Mutter, ein aufgedonnertes Weibchen, scheint ihr Leben aus der schon lange zurückliegenden Vergewaltigung durch ihren Vater zu begreifen. Das kompensiert sie durch lustvolle Lieblosigkeit, mit der sie nun ihre Tochter malträtiert. Ulli Maier verkörpert mit quirlig ordinärer Emphase den schnöden Narzißmus einer Mutter, die zur zwanghaften Befriedigung ihres aufgeblasenen Egos den grausamen Sieg über ihre in den letzten Zuckungen liegende „häßliche“ Tochter als Bestätigung ihrer eigenen Attraktivität feiert. Den Bekannten der Tochter wiederum (Kai Hufnagel) erleben wir als einen miefigen Puffbruder, der in der Besamung einer Frau die Erfüllung seines Daseins sieht und mit primitivem Machogehabe seine geschwellten Hoden für den Nabel der Welt hält.

Das ist insgesamt etwas simpel gestrickt und kann sich im Rekurs auf faschistoide Denk- und Sprachmuster und die beiläufige Erinnerung an „Führers“ Geburtstag auch nicht tiefenpsychologisch steigern: Mann und Frau definiert durch ihre Triebstruktur, Mutter und Tochter durch ihre Abhängigkeiten. In der genau beobachteten und sprachlich überhöhten, aber gerade dadurch so entlarvenden Mutter-Tochter-Konstellation liegt zunächst die Stärke von Jonigks Stück. Hier finden sich dann aber auch schnell seine Grenzen. Denn die Groteske setzt immer mehr auf Wortschablonen, synthetische Gefühle, schreckt auch vor alliterierenden Kalauern nicht zurück. Aber vielleicht liegt der Autor damit im Trend der Zeit. Das Publikum jedenfalls vergnügte sich prächtig. Vera Botterbusch

Noch einmal am Sonntag, den 19. 2. im Cuvilliétheater München