„Schwanengesang“ verpatzt

■ Die „Kleine Kantorei“ in der Kirche Unser Lieben Frauen

Erst Ende 1994 hat sich die „Kleine Kantorei“ unter der Leitung von Ansgar Müller Nanninga gegründet. Schon tritt sie mit einem ersten Konzert an die Öffentlichkeit, das ihren Anspruch unmißverständlich bekanntgibt: Zwei doppelchörige Motetten standen im Mittelpunkt, beide von außerordentlicher Schwierigkeit – sowohl technisch als auch interpretatorisch.

Da war in der gut besuchten Kirche Unser Lieben Frauen zunächst einmal das „Deutsche Magnificat“ von Heinrich Schütz, jenes letzte Werk, das der 86jährige Komponist 1671 selbst als „Schwanengesang“ bezeichnete, zu hören.

Eine unglaublich existentielle Komposition also, Wiedergabe sehr viel mehr verlangt, als die Rekapitulation und Zusammensetzung der Stimmen. Der Chor setzte einen guten Akzent auf die notwendige Deklamation, mußte sich aber um die technische Bewältigung noch so mühen, daß es zu einer tieferen inhaltlichen Ebene nur andeutungsweise kam. Auch die deutlichen und affektreichen Bilder dieses hochpolitischen Textes wollten nur schwer entstehen: Da haperte es noch an tonlicher Flexibilität und auch dynamischer Differenzierung.

Der Ehrgeiz trieb noch weiter: Es erklang das „Stabat mater“ (ca. 1715) für zehn Stimmen von Domenico Scarlatti, meines Wissens noch nie in Bremen aufgeführt. In der Tat muß diese Vertonung der Sequenz aus dem 13. Jahrhundert, einer Zeit blühender Marienverehrung, von allen etwa 150 bekannten Vertonungen dieses Textes zu den ganz großen gezählt werden. Scarlatti entlockt dem Text, der wenig Gefühlskontraste, dafür umso mehr Bilder enthält, ein Maximum an chorischer Expression und Virtuosität. Die SängerInnen der „Kleinen Kantorei“ hatten die konsequente Polyphonie in einer weitgehend einheitlichen Lautstärke unter Ansgar Müller Nanninga mehr als tapfer und auch intonationssicher einstudiert, frei fließende Musik wollte daraus aber noch nicht so ganz werden. Sicher ist auf die Dauer von diesem Laienchor, der über sehr gute Stimmen verfügt, einiges zu erwarten, wenn es gelingt, daß man sich nicht übernimmt.

Das Konzert, das die Gestalt der Maria zum Thema hatte, wurde ergänzt durch Solomotetten von Claudio Monteverdi, jenem ersten großen Meister der neuen subjektiven Affekte, die den alten mehrstimmigen Stil ablösten: Uta Kirsten Went und Julian Metzger schafften das stimm- und kenntnisreich, etwas zu manieristisch der Tenor. Ein treffliches Continuum-Team mit Renate Bratschke, Orgel, Wolfgang Katschner, Chitarrone, Hille Perl, Viola da gamba und Jenny Wetsman, Violone, dem man insgesamt allerdings auch mehr expressive Farbigkeit gewünscht hätte, unterstützte außerdem weitere Solomotetten heute unbekannter Meister. Ute Schalz-Laurenze