Brecht kommt aus Indien

■ "Der heilige Tukraram" (1936) und "Vater, Sohn und Heiliger Krieg" (1994): Indische Filme im Forum

Von Andrea Kern

Weil das Kino seinen Hundertsten feiert, sind dieses Jahr auch ein paar alte, hierzulande aber kaum bekannte asiatische Filmklassiker im Forum zu sehen. Was zunächst wie eine Lektion in Sachen fernöstliche Filmgeschichte aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als einmalige Gelegenheit, großartige Filme zu sehen.

Eine wunderschöne Parabel erzählt der indische Film „Der heilige Tukaram“ aus dem Jahr 1936. Als der Film des Regieduos V.Damle/S.Fathelal seinerzeit in Bombay herauskam, war er ein echter Kassenerfolg: über ein ganzes Jahr hinweg lief er in den Kinos. Auf dem 5. Internationalen Filmfestival in Venedig wurde er dann 1937 als einer der drei besten Filme ausgezeichnet, und das zu Recht. Denn der Charme des Films, der bis heute ungebrochen überdauerte, beruht auf der perfekten Beherrschung einer sehr einfachen, aber darum so riksanten Technik: dem Erzählen in Gegensätzen, welches ihm so kunstvoll gelingt, daß man zuweilen auf den versponnenen Gedanken kommt, Brecht müsse eigentlich ein Inder gewesen sein.

Es geht um die Geschichte des armen Tukaram, der sein Leben partout nicht den irdischen Dingen des Lebens widmen will, sondern stattdessen seine Tage mit Lobgesängen an die Gottheit Pandurang verbringt. Sein Gegenspieler ist Salomalo, ein korrupter und intriganter Brahmin-Priester, der alles daran setzt, den begnadeten Sänger aus dem Weg zu räumen, um selbst der singende Platzhirsch am Ort zu sein. Der Film etabliert den Gegensatz der beiden in wenigen Bildern, indem er ihnen zwei unterschiedliche filmische Darstellungsformen zuordnet: Während Salomalo, der eitle Dilletant, sich in opulent ausstaffierten Szenen durch ornamentale Theatergebärden selbstgefällig hervortut, sieht man Tukaram zumeist in Nahaufnahme ganz versunken in seinen seligen Gesang.

Freilich stehen sich die beiden Kontrahenten, wie sich das für ein anständiges Kino der Gegensätze gehört, nicht unvermittelt gegenüber, sondern sie spiegeln und brechen einander in Tukarams Frau. Diese stelle man sich als eine indische Variante der Mutter Courage vor, die mit allen Mitteln darum kämpft, ihre zwei kleinen Kinder durchzubringen. Wenn Tukaram gemeinsam mit seiner lebenstüchtigen Frau auftritt, erscheint er weniger heilig als vielmehr gewissenlos, und aus dem ergebenen Dichter und Sänger, der die Bauern auf dem Feld in ekstatische Tänze treibt, wird ein verantwortungsloser Trottel. Als ein Landbesitzer ihm aus Freundlichkeit einmal zwei Dutzend Zuckerrohrstangen nach Hause mitgibt, verschenkt er diese auf dem Weg gutmütig an die Kinder der Nachbarschaft, so daß für seine eigenen Kinder, die vor Hunger dahindarben, fast nichts mehr übrigbleibt.

Indem der Film die pragmatische Frau Tukarams als Spiegelungsfigur verwendet, macht er aus dem anti-hedonistischen Affekt seines asketischen Helden ein zweideutiges Motiv: zwar ist die Religion Tukarams einzige Waffe gegen die Unterdrückung durch die herrschende Kaste, doch zugleich ist sie auch deren willkommenes Einfallstor. Als Tukaram am Ende erlöst mit einem Wagen in den Himmel fährt, ist die Welt alles andere als versöhnt. Im Blick seiner ihm verzweifelt hinterher rufenden Frau scheint sie nun erst recht entzweit. Vor dem Hintergrund der sich in den dreißiger Jahren formierenden indischen Unabhängigkeitsbewegung ist der Film mehr als nur ein Meisterwerk der indischen Filmgeschichte: Er ist ein politisches Lehrstück über das Verhältnis von Religion und Unterdrückung, das sich unauffällig unter dem Gewand eines devoten Rührstücks versteckt.

Weniger Löbliches gibt es dagegen von dem ebenfalls aus Indien kommenden zeitgenössischen Dokumentarfilm „Vater, Sohn und Heiliger Krieg“ von Anand Patwardhan zu berichten. Auch Patwardhan geht es um das Verhältnis von Religion und Unterdrückung, aber ihm ist es darum weniger als Filmemacher denn als Soziologe zu tun.

Der erste Teil seiner 1994 gedrehten Dokumentation ist noch mäßig interessant, weil er eine ganz gut gemachte Reportage über das Geschlechterverhältnis in Indien ist. Wir bekommen ein paar Frauen zu sehen, die die Witwenverbrennung in Ordnung finden, ein paar Männer, die gegen den Scheiterhaufen demonstrieren, und hin und wieder einige Momente von Frauensolidarität: während Patwardhan im ersten Teil noch ein heterogenes Bild der indischen Gesellschaft zeichnet, verrennt er sich im zweiten in der Sackgasse einer eindimensionalen Erklärung, die das Blutbad in den Moscheen und die sexistischen Feuerriten auf einen gemeinsamen Nenner zwingt. Das Engagement in Ehren, aber übers Journalistische kommt der Film nicht hinaus.

„Sant tukaram“ (Der heilige Tukaram); Regie: V. Damle / S. Fathelal. Indien 1936, 130 Min. 16.2. Delphi 11.00.

„Pitra, Putra Aur Dharam Yuddha“ (Vater, Sohn und Heiliger Krieg); Regie: Anand Patwardhan, Indien 1994, 120 Min. 14.2. Arsenal, 20.00; 15.2. Akademie 19.30