Resignation an den Stammtischen

■ Österreicher finden sich damit ab, daß der Krieg ungerecht ausgehen wird

Die Kolumnisten und die Stammtischredner in den Wiener Cafés sind kriegsmüde. Selbst jene ausgefuchsten Taktiker sind verstummt, die früher immer schon gespürt haben, daß es an der Bruchlinie zwischen Ost (böse) und West (mir san mir) zur Katastrophe kommen mußte. Kein „Serbien muß sterbien“ mehr von den Rettern des Abendlandes.

Mehr als tausend Tage dauert die Zerstückelung Bosnien-Herzogowinas bereits an. Da wächst selbst in einer Stadt, wo sich in nostalgischen Stunden viele noch immer in der heimlichen Hauptstadt des Habsburger-Reiches wähnen und wo inzwischen weit mehr als 100.000 Menschen aus Ex-Jugoslawien Unterschlupf gefunden haben, die Distanz zum Geschehen. Der dritte Hungerwinter für Sarajevo hat die anfangs wortflinken und erklärungsfreudigen Politiker in ihrer Parteinahme für Muslime oder Kroaten zurückhaltend werden lassen.

Auch die Spendenbereitschaft erlahmt. 120 Millionen Mark hat die Aktion „Nachbar in Not“ seit 1992 eingebracht. „Wir sind aber weit von den Anfangswerten entfernt“, sagt Wolfgang Bergmann von der Caritas. „Was wir früher an einem Tag gesammelt haben, bekommen wir nun gerade noch in einem Monat zusammen.“ Mit neuen Ideen, wie etwa „Saatgut für Bosnien“, versuche man gegen die Gleichgültigkeit anzukämpfen.

Der wachsende Abstand ist auch in der Politik zu spüren. Selbst Außenminister Alois Mock, der sich bereits vor dem Krieg in Allianz mit seinem deutschen Kollegen Genscher vehement für die Anerkennung der Nachfolgestaaten Jugoslawiens eingesetzt hat, hat bei seinen Kriegs- und Friedenszielen zurückgesteckt. Das entspricht auch wieder besser dem neutralen Status Österreichs. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Franz Vranitzky hat diesen Kurs von Anfang an verfolgt.

Diplomatische Vorstöße gibt es seit Jahreswechsel nur noch in enger Absprache mit der Europäischen Union, die friedliche Lösung des Konfliktes ist allen anderen Optionen vorzuziehen. Auch bei der Aufhebung des Waffenembargos betont Mock den zurückhaltenden europäischen Kurs, lehnt die Hauruck-Mentalität der USA ab. Daß die einst vehement geforderte Integrität des Staates Bosnien-Herzegowina unabdingbar sei, wird nicht einmal mehr in Nebensätzen angedeutet.

Der konservative Mock sieht die Zukunft Bosniens düster: „Ich bin skeptisch, was die politischen Lösungen anbelangt. Einen Ansatz mit beträchtlichen Zugeständnissen an den Aggressor haben wir seit drei bis vier Jahren.“ Das habe nur dazu geführt, daß die Forderungen ständig höher geschraubt worden seien. Serbenführer Radovan Karadžić reichte jetzt sogar der im Teilungsplan angebotene Anteil von 49 Prozent des Territoriums nicht mehr aus.

Oppositionschef Jörg Haider will, daß „alle Streitparteien unter möglichst gleichen Bedingungen in die Auseinandersetzungen gehen. Einseitige Waffenembargos, die die Verteidigung der eigenen Heimat unmöglich machen, sind kontraproduktiv.“ Er zweifelt den Einfluß der internationalen Gemeinschaft auf den Konflikt an. „Das Ansehen der UNO ist am Tiefpunkt, es gibt keinen Willen, sich am Balkan zu engagieren.“ Den „westlich ausgerichteten Kroaten“ rät Haider, jede Form von Aggression zu unterlassen.

An die friedliche Entwicklung in Bosnien glaubt aber offiziell niemand mehr so richtig, eher an einen Bürgerkrieg auf Sparflamme, bis zur Erschöpfung. Auf diesen Moment warten dann die landräuberischen Nachbarn, die zur Zeit auf diplomatischem Weg ausloten, wie weit sie ihre großserbischen oder großkroatischen Pläne verwirklichen können. Einen vollen Krieg mit dem hochgerüsteten Serbien wünschen nicht einmal die verrücktesten Generäle in Zagreb. Glaubt man den Worten des kroatischen Außenministers Mate Granić, dann sind sich Kroaten und Serben über ihre speziellen Teilungspläne ohnehin einig. Die serbisch besiedelte Krajina werde wieder „friedlich“ in Kroatien eingegliedert. Im Austausch könnte Serbien sich Ostslawonien einverleiben. Dann wären die Hochstapler bereit für die Aufteilung. Norbert Mayer, Wien