Das Fleisch des Dichters

■ Kazuo Haras „A dedicated Life“ über den Dichter Mitsuharu Inoue (Forum)

Ursprünglich wollte der Dokumentarfilmer Kazuo Hara den japanische Nachkriegsschriftsteller Mitsuharu Inoue zehn Jahre lang begleiten. Das Krebsleiden des schlanken Dichters mit den eleganten Bewegungen und den wachen Augen kam dazwischen. Aus dem Film über den Dichter wurde ein Film über sein Sterben, das sich von 1989 bis Anfang 1992 hinzog.

Inoue war in Japan durchaus umstritten, verweigerte er sich doch dem literarischen und akademischen großstädtischen Mainstream und versuchte stattdessen, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Nach dem Krieg gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der japanischen kommunistischen Partei, von der er sich aber bald wieder trennte. Jenseits der japanischen Metropolen gründete Inoue eine Kette von dreizehn Literaturschulen. Obgleich er zweimal in der Woche zur Chemotherapie mußte, lehrte er bis zu seinem Tod.

In dem Dokumentarfilm geschieht etwas ganz Seltsames. Zwar sieht man den Schriftsteller zweieinhalb Stunden lang bei seinem Leben zu, ist dabei, wenn er sehr engagiert Literaturkurse gibt, die Texte seiner Schüler kritisiert, wenn er mit Freunden das neue Jahr begrüßt, von sich erzählt oder in großen Sälen Vorträge darüber hält, daß sich unsere Beziehungen zueinander unbedingt ändern sollen. Kazuo Hara filmt sogar, wie dem krebskranken Dichter der Bauch aufgeschnitten wird, wie Chirurgen seine Leber auseinanderschneiden. Und doch bleibt das Porträt seltsam unbestimmt. Nur die Bilder des Dichters, der im Verlauf des Films immer mehr von seiner Krankheit gezeichnet ist – die letzten Aufnahmen sind zwei Monate vor seinem Tod gedreht – diese Bilder setzen sich im Kopf fest, ohne daß man das Gefühl hat, ihm nahe gekommen zu sein.

Einige Aufnahmen, wie die von Inoues Operation oder seinem körperlichen Verfall mögen vielen Zuschauern als zu indiskret erscheinen. Doch eigentlich sind sie das Gegenteil. Beharren sie doch (vielleicht etwas idealistisch) darauf, daß das nackte, kranke, hilflose Fleisch des Dichters nur oberflächlich mit seiner Persönlichkeit zu tun hat. Oder, ganz primitiv, daß sich die Seele des Dichters nicht in seiner offenen Bauchhöhle befindet. Detlef Kuhlbrodt

„Zenshin shosetsuka“ (A Dedicated Life); Regie: Kazuo Hara, Japan 1994, 157 Min.