Bewußtes Verwirrspiel

■ Gericht stoppt Verteilung von Kriegsflüchtlingen auf andere Bundesländer

Die Praxis der Berliner Innenverwaltung, neu ankommende Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien auf andere Bundesländer zu verteilen, „entbehrt jeglicher rechtlichen Grundlage“ und ist unzulässig. Das hat das Verwaltungsgericht jetzt in einem Grundsatzbeschluß entschieden (AZ: VG 35 A 3599.94). In ungewöhnlich deutlicher Sprache verpflichtet das Gericht darin die Ausländerbehörde, den Aufenthalt einer 46jährigen Bosnierin in der Stadt zu dulden. Die Frau war aus Tuzla zu ihrem Sohn nach Berlin geflüchtet und sollte in die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber nach Sachsen-Anhalt gebracht werden.

Hintergrund der Entscheidung: Im Frühjahr 1994 hatte sich eine Staatssekretärsrunde der Länderinnenverwaltungen darauf verständigt, die Bundesländer mit den meisten Kriegsflüchtlingen zahlenmäßig zu „entlasten“. Analog zum Asylverfahren sollten vor allem Berlin, Bayern und Baden-Württemberg Neuankömmlinge an Länder weiterleiten können, die unter der Aufnahmequote liegen. Berlin macht seitdem von dieser Absprache regen Gebrauch. Mit Ausnahme von minderjährigen Familienangehörigen werden sämtliche neuankommenden bosnischen Flüchtlinge „wegverteilt“.

Unzulässigerweise, wie jetzt die 35. Kammer des Verwaltungsgerichts entschied, denn für die Verteilung gebe es „weder eine Rechtsgrundlage noch eine rechtsstaatlichen Ansprüchen genügende Verteilungsentscheidung“. Der im Zuge des „Asylkompromisses“ neu geschaffene Status für Bürgerkriegsflüchtlinge sehe zwar eine solche Verteilung vor, doch werde dieser Paragraph, der Bürgerkriegsflüchtlingen ein höherwertiges Bleiberecht als eine Duldung sichert, auch 19 Monate nach seiner Einführung immer noch nicht angewendet, weil sich Bund und Länder nicht über die Kostenträgerschaft einigen können. Wenn Bund und Länder den Paragraphen jedoch nicht anwenden, komme er auch nicht als Rechtsgrundlage für die Verteilung in Betracht, meint das Gericht unmißverständlich. Auch gehe es nicht an, nur derjenigen Teil der Regelung umzusetzen, der eine Belastung für die Flüchtlinge bedeutet, nicht aber den, der ihnen aufenthaltsrechtliche Vorteile bietet.

Den beteiligten Verwaltungen, so schreibt das Gericht weiter, sei das sehr wohl klar. Sie betrieben daher ein „Verwirrspiel“ und schöben die Verantwortung hin und her.

Dem Innensenat müßte diese harsche Kritik eigentlich schwer im Magen liegen. Denn die jetzige Entscheidung wurde von der Kammer gefällt, die vor neun Monaten eingerichtet worden war, um sich ausschließlich mit der Aufenthaltssituation der Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien zu befassen. Aus dem Hause Heckelmann hieß es gestern nur, man werde vor dem Oberverwaltungsgericht Beschwerde gegen das Urteil einlegen. Vera Gaserow