Traurig und viel onaniert

■ Bilder zwischen manischer Depression und großem Künstlertum: "Crumb" Terry Zwigoffs / Portrait über den Comic-Zeichner Robert Crumb (Forum)

Die Populärindustrie verortet ihre Helden in der Zeit. Dem Zeichner Robert Crumb, dem Erfinder von Fritz the Cat, dem Coverzeichner von Janis Joplin's Cheap Thrills schenkte sie vielleicht fünfzehn Jahre des Ruhms. In dieser Zeit – die in Deutschland vielleicht von 1970 bis Mitte der 80er Jahre reichte – war Crumb der umstrittene Zeichnerstar hunderter Undergroundcomics. Alle paar Monate brachte der Verlag „2001“ neue, immer aufwendigere Skizzenbücher des dünnen Mannes mit den hängenden Schultern und der dicken Brille heraus; in jeder WG wurde diskutiert, ob Crumb nun Künstler oder frauenfeindlicher Pornograph sei. Danach verschwand er – zumindest im Bewußtsein des Poppublikums – wie so manche Band dieser Zeit. Daß er auch weiterhin erfolgreich war, daß er sich den Bemühungen der Unterhaltungsindustrie, ihn zum Beispiel für Animationsfilme oder Rolling-Stones-Covers zu gewinnen, konsequent verweigert, daß er im New Yorker „Museum of Modern Arts“ geehrt und in Frankreich als großer Künstler gehandelt wird, interessierte eigentlich kaum noch jemanden.

Crumbs langjähriger Freund und Weggenosse, der Dokumentarfilmer Terry Zwigoff, beobachtete den notorisch scheuen Künstler sechs Jahre lang. In seinem beeindruckenden Film stellt er Crumb wieder in die Kontinuität einer Lebenszeit, die andere Rhythmen hat, als die Welt des Pop. Crumbs Bilder und Comics, die übermächtigen, vitalen Frauen, die umlagert werden von meist eher wurmartigen, schwachen Männer mit riesigen Penissen, sind autobiografisch zu verstehen. Nicht nur in seinen Comics ist der scheue Zeichner amerikanischer (Alp)-Träume ein eher frauenfeindlicher Po-und Beinfetischist, der als kleiner Junge schon mit den Stiefeln seiner Tante gebumst hat, als schüchterner junger Mann nie die Frauen bekam, die er begehrte – denn die trieben sich lieber mit kräftigen Schlägern herum. Einer, der traurig und viel onanierte und Erfolg bei den Frauen erst hatte, als er endlich berühmt war.

Ob Crumb's fetischistisches Frauenbild nun böse ist, ob er der „Breughel des 20. Jahrhunderts“ (so ein Kritiker des Time-Magazins) oder doch nur ein gestörter Pornograph ist, der eingesperrt gehört, ob Frauen blöde Machos immer attraktiver als nette Jungs finden, das alles ist vielleicht nicht so wichtig. Großartig wird der Film da, wo er die Geschichte des Künstlers als eine zufällige zeichnet, wo er von Crumb zu seinen Brüdern abschweift, die beide wie Crumb in ihrer Jugend begeisterte Comiczeichner waren. Während es Robert Crumb gelang, seine Gestörtheit durch dass Zeichnen sozial kompatibel zu machen, seine Isolation und allerlei Depressionen durch den Ruhm zu überwinden, scheiterten seine Brüder: Max, der der als erfolgloser Künstler in San Francisco lebt, belästigte Frauen, bevor er zum auf Nagelbrettern meditierenden Asketen wurde. Der manisch-depressive, von Medikamenten aufgedunsene Charles, der ein bißchen an den Sänger Daniel Johnston erinnert, und von dem es irgendwann heißt, er habe in seinem Leben noch nie Sex gehabt, hatte wie Robert eine Comiczeichnerkarriere begonnen. Irgendwann war er in immer unverständlichere Bilder gerutscht. Unfähig zu arbeiten lebte er bis zu seinem Selbstmord – ein Jahr nach Fertigstellung des Films – bei seiner keifenden Mutter. Der lebensuntüchtige, berührend traurige Looser, den David Lynch nach der ersten Sichtung des Films zu einem Star machen wollte, wird irgendwann zum eigentlichen Helden von „Crumb“.

Ihn interessiere „der Zusammenhang zwischen manischer Depressivität und großem Künstertum“, sagte ein sympathisch trauriger Terry Zwigoff nach der Vorstellung. Jenen allerdings, denen es nicht gelingt, eine klare Sprache in der Kunst zu finden, denen, die nicht zufällig berühmt werden, ist damit wenig geholfen. Detlef Kuhlbrodt

„Crumb“, Regie: Terry Zwigoff, USA 1994, 119 Min.