Predigten zum Nulltarif

■ Der Berliner Pfarrer Martin Lotz hat ein Gemeindemitglied von der Kirchensteuer befreit

taz: Sie haben gerade einen Kirchenaustritt verhindert, indem Sie für eine Frau die Kirchensteuer von 33 Mark im Monat übernehmen. Welchen Service bietet eigentlich Ihre Gemeinde für diese Summe?

Martin Lotz: Wir bieten jeden Sonntag einen Gottesdienst mit guter Musik und ansprechenden Predigten. Es gibt Jugendarbeit, Seniorengruppen, Künstlerkreise. Ich selbst besuche Menschen, die alt oder krank sind oder Geburtstag haben. Und es muß immer jemand beerdigt werden.

Wie kam es zu Ihrer Kirchensteuer-Befreiungsaktion?

Diese Frau hat gesagt, sie wolle in der Gemeinde bleiben, weil sie sich hier trotz aller Kritik an der Kirche wohlfühle. Aber sie könne sich das nicht mehr leisten. Ich fand das sehr originell, daß jemand sagt: Wenn der Pfarrer eine Möglichkeit sieht, bleibe ich.

Normalerweise bekommen Sie ja Kirchenaustritte gar nicht mit.

Nein, die Leute wenden sich an das Amtsgericht, und ein paar Wochen später bekommen wir die entsprechende Mitteilung. Wenn ich erst dann die Leute zum Wiedereintritt bewegen will, ist es zu spät.

Was machen Sie denn, wenn jetzt alle möglichen Leute zu Ihnen kommen und um eine Befreiung bitten?

Patenschaften. Besserverdienende – die gibt es genug in der Kirche – könnten für sozial Schwächere zahlen. Wer genug Geld hat, könnte ohne weiteres sagen: Für Frau Sowieso übernehme ich ein Jahr die Steuer. Ich als Pfarrer könnte mir das auch leisten.

Momentan zahlen Sie jener Frau die Steuer aus einem Etat, über den Sie frei verfügen. Sie haben aber bei Ihrer Oberbehörde die ersatzlose Streichung beantragt. Wie schätzen Sie die Reaktion ein?

Das Konsistorium reagiert wohl erst, wenn Öffentlichkeit entsteht. Aber die Kirche muß sowieso von der Steuer runter. Durch das neue EG-Recht wird es irgendwann nur noch freiwillige Beiträge geben. Man muß sich jetzt schon auf die neue Situation vorbereiten und gleichzeitig Austritte verhindern.

Was sind denn die Hauptgründe für steigende Kirchenaustritte?

Mehrbelastungen wie der Solidaritätszuschlag, Mieterhöhungen, Verteuerung der öffentlichen Verkehrsmittel. Es gibt aber auch Leute, die von der Kirche enttäuscht sind und für die das Geld nur ein Vorwand ist.

Glauben Sie, daß Ihre bisher einmalige Aktion Nachahmer findet?

Ich hoffe es. Machbar wäre es jedenfalls für jeden Pfarrer. Interview: Wolfgang Farkas