Filmemachen ist ein Hindernislauf

■ Gespräch mit Dani Levy, Tom Tykwer, Wolfgang Becker und Stefan Arndt anläßlich der Gründung von "x-filme"

taz: Was bedeutet der Name „x-filme“?

Wolfgang Becker: X Filme. Ganz viele Filme.

Stefan Arndt: Eine unbekannte Größe.

Tom Tykwer: x-filme entstand aus der Situation heraus, daß sich leider in Deutschland die meisten Filmemacher einsam fühlen, lauter Einzelkämpfer, die vom Rest der Branche im Stich gelassen werden. [Gelächter bei den anderen, Dani Levy verteilt Taschentücher].

Warum lacht Ihr? Könnt Ihr die Jammerei nicht mehr hören?

Arndt: Ich bin ja kein Filmemacher und sehe das mehr von außen. Mir fiel auf, daß junge Talente, deren Filme ich grandios gut fand und die auch viel Publikum hatten, große Schwierigkeiten haben, einen nächsten Film zu drehen und dafür den Etat, das Drehbuch, die Rechte und so weiter zusammenzubekommen. Es geht ja nicht um Neulinge, die gerade ihren ersten Kurzfilm gedreht haben, sondern um Leute mit einem gewissen Renommee. Ich dachte: Das darf doch nicht wahr sein!

Becker: Ich habe bisher nur mit Auftragsproduzenten gearbeitet und habe genug von der Situation, kein kreatives Gegenüber zu haben, vom Buch angefangen alles selbst zu leisten und dann einem Produzenten ausgeliefert zu sein, der nur mit Zähnen und Klauen seinen Etat verteidigt. Ich möchte, daß mehr Geld direkt in den Film fließt und nicht in die Einrichtung von Büros. Ich will nicht alle diffamieren, aber die Abzockermentalität in der deutschen Produzentenbranche gibt es durchaus. Außerdem ist ein Abstand von drei Jahren zwischen zwei Filmen einfach zu lang. Aus der Isolation kommt man eher raus, wenn es eine Firma gibt, die längerfristig Drehbuchautoren bindet, so daß, wenn wir einen Film drehen, der nächste schon in Vorbereitung ist.

Dani Levy: Weil es oft zu lange dauert, fängt man irgendwann an, an seiner ursprünglichen Idee zu zweifeln. Man entwickelt sich ja. Ich kann nicht ein Projekt, das ich heute wichtig finde, 1998 genauso wichtig finden. Deswegen ist die jahrelange Haftung an einer Idee schädlich: Es wäre ja schmerzhaft, sie fallenzulassen, denn sie ist einem ans Herz gewachsen, weil man soviel investiert hat – man kann gar nicht mehr sagen, ob sie noch etwas taugt, ich weiß das oft nicht mehr.

Becker: Drei Leute können mehr bewirken. Man hat mehr Kraft, ist nicht mehr so spaltbar. Primär soll x-filme die Heimat für uns sein, und wenn wir uns in dieser Firma bewährt haben, können auch andere Leute bei uns ihre Filme produzieren und hier zumindest vorübergehend eine Heimat finden. Zwischen uns selbst findet ein ständiger Austausch statt, und weil wir zwei Kinomacher dabeihaben, haben wir auch das Publikum mehr im Blick.

Seit einem halben Jahr gibt es das Filmboard Berlin-Brandenburg mit dem Intendanten Klaus Keil, der als Maxime mehr Marktorientierung ausgegeben hat und von den Antragstellern für Filmförderung unter anderem einen Verleihvertrag verlangt. Haltet Ihr das für sinnvoll?

Levy: Im Prinzip ja. Aber für meinen Film „Stille Nacht“ [der zur Zeit in Babelsberg gedreht wird] gibt es zum Beispiel keinen Verleihvertrag. Das wäre auch wenig sinnvoll. Anders als Peter Timm, Sönke Wortmann oder Helge Schneider, auf die ja von vornherein kommerziell gesetzt wird, machen wir ja spekulative Filme. Unsere Filme sind unberechenbar: Kein Verleih wird sich vorab zu festen Bedingungen auf einen unserer Filme einlassen.

Woran liegt das? Gehen die Verleiher kein Risiko ein?

Levy: Es ist branchenüblich, es gab keine inhaltliche Begründung. Es heißt dann einfach: zu diesem Zeitpunkt nicht. Die Branche hier ist desinteressiert. Man weiß nie richtig, über was für eine Kultur hier überhaupt gesprochen wird. In anderen Ländern gibt es viel mehr Austausch darüber, welche Position ein Filmemacher innerhalb der Kinolandschaft einnimmt. Hier guckt man nur auf Einschaltquoten und Besucherzahlen.

Arndt: Das stimmt doch gar nicht. Deine Besucherzahlen sind doch, gemessen am Budget, phänomenal.

Levy: Vielleicht wäre es nach „Robbykallepaul“ anders gewesen, aber nicht nach „I was on Mars“. Das war ein Flop in Deutschland und fertig. Es gibt Ausnahmen, zum Beispiel einen großen Verleih, der sich für Wolfgang Becker interessiert, aber das ist selten.

Was wünscht Ihr Euch denn von der Filmförderung, den Produzenten und den Verleihern?

Levy: Wir brauchen genug Geld, um Filme zu entwickeln, das heißt, wir brauchen ein Verständnis für development, damit wir die guten Autoren nicht an RTL oder andere lukrative buy-out-Unternehmen verlieren. Klaus Keil kündigt das ja an. Deshalb werden wir ihm jetzt auch ein Package anbieten und sagen: Das sind die zehn oder fünfzehn neuen Projekte von uns dreien und noch ein paar assoziierten Regisseuren. Nun investiere so, daß jeder Film mit 100.000 bis 150.000 Mark richtig entwickelt werden kann, das heißt, daß recherchiert, Casting betrieben und gründlich am Buch gearbeitet werden kann.

Arndt: Das Problem ist freies Geld. Normalerweise ist man mit dem aufgetriebenen Geld gezwungen, den Film auch fertig zu machen. Man muß auch die Freiheit haben zu sagen, aus dieser tollen Idee wird erst mal doch kein Film oder es ist eigentlich eine Serienidee. Zur Zeit ist man so gebunden, daß man doch sein kleines Fernsehspiel draus machen muß.

Was verbindet Euch denn? Ihr macht sehr unterschiedliche Filme und seid auch nicht die gleiche Generation.

Tykwer: Was ich suche, ist eine Handschrift. Dani und Wolfgang haben eine Handschrift, die nicht meine ist, und das finde ich gut. Ich glaube, wir gehen konzentriert mit Stoffen um und kurbeln nicht einfach irgendwas runter. Die vielleicht schon etwas abgegriffene Autorenidee steckt durchaus in unseren Filmen drin.

Levy: Tom und Wolfgang sind Leute, die leidenschaftlich mit der Filmsprache umgehen, die den Mut zur kraftvollen Lösung eines Konflikts haben und das Risiko eingehen, an die Grenze zum Emotionalen, auch zum Sentimentalen zu geraten.

Becker: Es ist eine Frage der Haltung. Bei vielen fehlt die.

Der „Filmverlag der Autoren“ ist ja einmal als Gegenbewegung zum Kino der Väter entstanden. Welches Verhältnis habt Ihr zum Kino Eurer Väter, zu Hauff, Fassbinder, Wenders, Kluge, Schlöndorff?

Becker: Wenders ist ja der einzige, der von denen noch dreht. Fassbinder ist tot, die anderen haben administrative Posten.

Tykwer: Ich kann mich zu einem Teil dieser Filmemacher richtig bekennen, das sind Leute, die mich geprägt haben. Fassbinder und Wenders waren sehr wichtig. Meine Vergangenheit im Kino habe ich mit diesen Leuten verbracht, sie sind ein wichtiger Teil meiner Kinosozialisation.

Levy: Schlöndorff, Hauff und Wenders kennen die Idee von x- filme. Alle drei sind darauf abgefahren, Wenders wollte sich sogar als Gesellschafter mit uns liieren und unser Modell verknüpfen mit Modellen ähnlicher Art in England und Frankreich – von David Puttnam zum Beispiel gibt es eine ähnliche Firma. Natürlich wollten wir von Wenders auch wissen: Was hat nicht funktioniert beim Filmverlag der Autoren, und was hat ihn auseinandergesprengt?

Und Wenders' Antwort?

Becker: Die Arbeitsteilung hat nicht funktioniert. Einige haben alles gemacht und waren sehr produktiv, andere haben nur sporadisch beim Filmverlag produziert. [Meine Batterien sind alle. Als ich mit neuen zurückkehre, regen sich alle gerade über die „zitty“-Kritik zum neuen Doris-Dörrie-Film auf.]

Becker: Über die deutsche Filmkritik sollten wir auch mal ein längeres Gespräch führen. Bitte. Das Band läuft.

Becker: Wenn ich das hier lese: „Seit dem Überraschungserfolg ,Männer‘ vor knapp zehn Jahren vornehmlich von Mißerfolg geplagt, hat Doris Dörrie noch einmal das alte Erfolgsrezept aufgekocht.“ Also wenn wir die Exposition für einen Film so machen würden wie die Exposition für diese Kritik, wären wir nur noch denunzierende Monster.

Levy: Filmemachen ist ein Hindernislauf. Du hast eigene Hürden beim Schreiben des Buchs, dann mußt du einen Produzenten finden, dann gibt es Hürden beim Dreh, beim Schnitt, dann mußt du einen Verleih finden, dann hat der Verleih das Problem der Programmierung, und die letzte Hürde ist die Kritik. Die gibt dem Film in der Regel den Gnadenschuß. Du bist erschöpft von dem Hürdenlauf und bist außerdem stolz: Toll, wir haben Kinos gefunden, Plakate gedruckt, uns mit dem Grafiker geeinigt, und dann kriegst du am Starttag den Genickschuß. Es kostet einen wirklich viele Zuschauer.

Tykwer: Das Problem ist nicht, einen Verriß zu bekommen oder sich damit konfrontiert zu sehen, daß die ganze Welt deinen Film nicht mag. Nur: Wenn man von uns Handwerk einklagt, tue ich es umgekehrt auch. In vielen Kritiken gibt es Schlampigkeit und eine absolut unprofessionelle Haltung. Becker: Wir haben in Deutschland keine Filmkultur. Die Filmindustrie liegt auf dem Boden und ist bei einem 80-Millionen-Volk nicht vergleichbar mit kleineren Nationen, die ganz andere Sachen auf die Beine stellen. Der deutsche Film ist stigmatisiert. Alle Welt wartet darauf, daß der Messias vom Himmel schreitet und uns den ultimativen neuen deutschen Film beschert. Aber wir brauchen Zeit und Geduld, um bessere Filme zu machen. Wenn umgekehrt der Rubel rollt wie bei „Abgeschminkt“, verstummt die Kritik. Kommerzielle Filme werden vom Spiegel bis zum Stern hochgejubelt, da guckt keiner mehr genau hin. Wenn man Toms Film sieht und nicht begreift, was für ein Talent darin steckt, muß man einfach dumm und dämlich sein. Ich würde durchaus kritische Anmerkungen dazu machen, aber für mich wäre das trotzdem ein Silberstreif am Horizont und ich würde sagen, den muß man fördern, der muß die richtigen Projekte kriegen und so weiter. Alles, was deutsch ist, betrachten wir mit Mißtrauen. Das reicht sehr weit zurück, hat mit dem Nationalsozialismus zu tun, mit der deutschen Frage. Wir haben ein Problem mit unserer Identität und es ist immer angesagt gewesen, das, was aus dem eigenen Land kommt, niederzumachen.

Levy: Filme aus dem Ausland kommen hier einfach besser weg.

Becker: Nimm mal so einen Film wie „Aus der Mitte entspringt ein Fluß“ von Robert Redford. Wer in Deutschland interessiert sich dafür, daß zwei Brüder 1930 Fliegen-Fischen gehen? Der Film hatte hier mehr als eine Million Zuschauer. Und alle sagen nur, es sieht geil aus, wenn so eine Plastikleine im Gegenlicht herumschwirrt. Der Film ist so sentimental und voller Hurra-Patriotismus, der ist fürs Flugzeug noch zu schade. Aber er wurde hier bejubelt, dabei ist es für unser Leben hier in Deutschland ein vollkommen unbedeutender Film. Stell dir mal vor, zwei bayrische Brüder würden in einem Wildbach stehen und du würdest genauso wunderschöne Gegenlichtaufnahmen machen mit noch ein bißchen Lokalkolorit dazu, dann würden wir doch sagen: Um Gottes willen, Papas Kino ist wieder da.

Nun sehen amerikanische Filme aber schon wegen ihres Budgets besser aus. Sie sind halt professioneller gemacht, und das Publikum mag das.

Becker: Klar, ein grünweißer VW-Bus, wo „Polizei“ draufsteht, sieht einfach nicht so geil aus wie so 'ne schwarzweiße Karre, wo unheimlich viel Licht obendrauf jubelt. Auch diese martialische cowboymäßige Uniform mit den Sticks an der Seite, der Knarre und der blitzblank geputzten Polizeimarke sieht geiler aus, als wenn so eine Schnittlauch-Figur daherlatscht und „Morjen“ sagt. Unsere Vorgänger und auch wir selbst haben es halt nicht geschafft, ein Genre zu entwickeln. Ein Mann im Trenchcoat, der einem Citroän entsteigt, das ist Frankreich. Und was haben wir? Wir haben grünweiße Autos und den Heimatfilm und sonst haben wir als Genre nichts.

Wie haltet Ihr es denn mit der deutschen Gegenwart? „Kinderspiele“ handelt von den sechziger Jahren, „Die tödliche Maria“ ist in einem zeitlichen Niemandsland angesiedelt, aber Berlin, hier und jetzt, nach dem Fall der Mauer, ist ein blinder Fleck.

Becker: Also bei meinen Lieblings-Regisseuren ist das so: Kubrick hat ganz am Anfang einen Film gemacht, der hieß „Spartakus“ und handelte von einem, der vor 2.000 Jahren gelebt hat. Was hat der mit der englischen oder amerikanischen Wirklichkeit zu tun? Truffaut hat erst mal drei oder vier Filme über seine Kindheit und Jugend gedreht, die Antoine- Doinel-Reihe. Oder die frühen Hitchcock-Filme. Was ist denn übriggeblieben in der Filmgeschichte? Das wenigste davon hat aktuelle Bezüge. Es geht doch immer um das gleiche: Um Liebe, Tod, Kindheit. Das wollen die Leute sehen. Ich glaube nicht, daß wir immer nur krasse, wahrhaftige, authentische Filme machen müssen. Trotzdem interessiert mich im Moment genau das.

Fassbinder hat mindestens die Hälfte seiner Filme direkt über die bundesrepublikanische Wirklichkeit gedreht.

Tykwer: Mir haben in letzter Zeit gerade die krassen Filme gefallen, „Naked“ von Mike Leigh war für mich der beste Film im letzten Jahr, auch „Im Namen des Vaters“ war so ein Beispiel von Aktualität, die trotzdem weit über ihre Zeit hinausweist. Aber da haben wir Schiß vor, vor dem Realitätsbezug. Dem deutschen Film wird ja durchaus zu Recht vorgeworfen, daß er auf eine prätentiöse oder betretene oder öde Weise die Gegenwart reflektiert. Ich kann nicht sagen, daß ich mit „Die tödliche Maria“ einen Film gemacht habe, um mich davor zu drücken. Jedenfalls machen wir als nächstes alle Filme, die direkt mit der Gegenwart zu tun haben. Wolfgang und ich schreiben an einem Drehbuch, das Wolfgang in diesem Jahr verfilmen wird, das superaktuell ist und heute in Berlin spielt.

Becker: Unser Film ist eine Liebesgeschichte und gleichzeitig die Geschichte von vier Personen, deren Wege sich kreuzen und die alle ein Problem haben: Wie verdiene ich das Geld für die nächste Zeit? Es sind also sozial schwache Leute. Trotzdem ist es kein Betroffenheitsfilm.

Arndt: Wir als Firma sind für Gegenwartsstoffe übrigens ansprechbar. Wir haben eine Telefonnummer, man kann uns anrufen und sagen: Ich hab' einen Stoff, oder ich hab Geld, um so einen Stoff zu verfilmen. Film ist nun mal die gottverdammt teuerste Kunst, die man sich aussuchen kann.

Aber alle wollen Bilder haben.

Becker: Haben wir gerade gesehen. Ein Bagger in der Heerstraße baggert in ein Glasfaserkabel rein, und halb Charlottenburg hat kein Fernsehen mehr. Was bei mir im Haus los war: Drei Tage ohne Fernseher, und alle sind völlig verzweifelt. Das ist die Krise: Es ist Weihnachten und der Fernseher läuft nicht.

Apropos. Worum geht es in „Stille Nacht“? Ich weiß nur, daß ein Telefon eine wichtige Rolle spielt.

Levy: Ein Telefon und Nebendarsteller.

Arndt: Kauf dir 'ne Kinokarte.

Ein bißchen neugierig müßt Ihr Euer Publikum schon machen.

Becker: Das müssen wir noch lernen. Also: „Stille Nacht“ ist eine oberperfide Ménage à trois, mit unglaublich vielen überraschenden Wendungen. Drei Leute kämpfen bis aufs Messer dafür, daß ihre Liebe ein Recht hat und daß sie diese Liebe auch wollen.

Levy: Der Film spielt in einer Nacht, nämlich am Weihnachtsabend, in einem Pariser Hotelzimmer und einem Penthouse in Berlin. Diese beiden Drehorte haben wir in Babelsberg gebaut, es gibt außerdem Außendrehs in Paris und in einer Bar, aber 90 Prozent drehen wir im Studio.

Becker: Und in vierzig Jahren werden die Leute an Weihnachten vorm Fernseher sitzen und werden sagen: Oh da kommt wieder dieser alte, tolle Film „Stille Nacht“. Ist doch süß, wie die das damals gemacht haben: in Farbe und zweidimensional. Das Gespräch moderierte

Christiane Peitz