"Lieber Befehlshaber"

■ Geburtstagsgrüße an Nordkoreas heute 53jährigen Diktator Kim Jong Il, den die Propaganda als nationalen Heiland feiert

Tokio (taz) – Herzlichen Glückwunsch zum 53. Geburtstag, lieber Führer und oberster Befehlshaber Kim Jong Il! So soll es aus über 22 Millionen nordkoreanischen Kehlen schallen. Denn heute ist der laut der Regierungspropaganda „größte Feiertag der Nation“, den die Nordkoreaner mit ihrem rätselhaft entrückten und deshalb nur mutmaßlichen Staatschef Kim Jong Il begehen.

Doch wie dem Geburtstagskind gratulieren, das durch seine Geheimnistuerei mit Atombomben und Staatsämtern zu dem nach Deng Xiaoping im Westen meistkommentierten Politiker Asiens aufgestiegen ist? Schon die Anrede fällt schwer: „Lieber Führer und Oberster Befehlshaber“ pflegen nordkoreanische Diplomaten derzeit ihren vermeintlichen Chef ebenso höflich wie distanziert zu nennen. Die Distanz liegt dabei in der Bezeichnung Kims als Armeechef, einen Titel, den er aufgrund der Ernennung durch seinen Vater Kim Il Sung bereits seit 1991 trägt. So sagt dieser Titel eben auch aus, daß Sohn Kim seit dem Tod seines Vaters im Juli vergangenen Jahres keine weiteren Posten hinzuerwerben konnte. Kim Jong Il ist immer noch nicht Staatspräsident oder Generalsekretär der nordkoreanischen Arbeiterpartei. Warum?

„Der Liebe Führer Kim Jong Il gleicht völlig dem Großen Führer Kim Il Sung. Er führt die Partei, den Staat, die Armee und die Diplomatie“, antwortete darauf kürzlich der nordkoreanische Parteisekretär Kim Yong Sun, der mit der Präsidentenfamilie nicht verwandt ist. Diese Antwort wird leicht verständlich, wenn man dabei in dem Parteisekretär Kim Yong Sun einen gläubigen Anhänger jener Staatsmythologie erkennt, die erzählt, daß die „zukünftige Sonne der Nation“, Kim Jong Il, im Februar 1942 unter einem doppelten Regenbogen auf dem Berg Paekdu der Welt erschien, wo seine Geburt wenige Tage zuvor einem alten weißhaarigen Mann von einer Schwalbe verkündet wurde. Nicht nur die Legende, auch die nordkoreanischen Malereien von jener Hütte auf dem Berg Paekdu, in der Kim angeblich geboren wurde, gleichen den uns bekannten Bildern der christlichen Mythologie. „Einen wunderbaren General, der über die ganze Welt regieren wird“, kündigte die Schwalbe damals dem alten Mann an. Kein Wunder also, daß es die Anhänger der Kim-Religion nur wenig kümmert, welche offiziellen Ämter ihr Staatsidol derzeit bekleidet. Er ist sowieso ihr „Führungsstern“, als der er vor 53 Jahren das erste Mal erschien – offiziell sogar am Himmelszelt über den Wäldern. Mithin ist in Nordkorea heute Weihnachten.

Wollen wir also Kim endlich Kim sein lassen, ihm als Partner im Atompakt mit Washington ordentlich gratulieren und ansonsten das Rätselraten um seine tatsächliche Macht einstellen? An der Festigkeit des Kim-Regimes – unabhängig davon, was das Geburtstagskind selbst zu entscheiden hat – gibt es zur Zeit nur jene Zweifel, die regelmäßig von südkoreanischen Nachrichtenagenturen gestreut werden: daß es hier an Reis und dort an Zucker mangele, daß die nordkoreanische Wirtschaft ohne südliche Hilfe vor dem Bankrott stehe usw. Genauso mißtrauisch muß man die Berichte westlicher Nordkorea-Besucher lesen – wie etwa das auffallend postive Resümee des amerikanischen Asienexperten Don Oberdorfer, der die nordkoreanischer Hauptstadt Pjöngjang im Januar als auffallend geschäftiger als noch bei seinem letzten Besuch im Jahr 1991 beschrieb.

So verbindet sich die Geburtstagsbetrachtung des taz-Ostasien- Korrespondenten mit einem Geständnis: Der hier Schreibende weiß nach Dutzenden von Beiträgen zur Person, an die sich der heutige reiht, über den Betroffenen nichts besser als zu jener Zeit, wo sich im Westen noch niemand für Kim Jong Il interessierte. Daß es sich so verhält, ist freilich Ergebnis der geschickten Hinhaltepolitik eines – aber eben nur mutmaßlich – sehr grausamen Diktators. Georg Blume