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Schriftsteller unter Spionageverdacht

■ Der SPD-Mann Dieter Lattmann wehrt sich gegen Ermittlungsverfahren

Karlsruhe (dpa/taz) – Die Bundesanwaltschaft führt das Verfahren gegen den Schriftsteller und früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Dieter Lattmann wegen Verdachts der Stasi-Mitarbeit fort. Das teilte gestern der Sprecher der Karlsruher Behörde, Rolf Hannich, mit. Damit hält die Karlsruher Behörde auch nach der Vernehmung Lattmanns am vergangenen Freitag den Verdacht noch nicht für entkräftet, daß der frühere Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller unter dem Decknamen IM „Letter“ für das frühere Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gearbeitet hat.

Lattmann hatte am Dienstag die Öffentlichkeit selbst von dem Verfahren unterrichtet. Offenbar sei er ohne sein Wissen als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des MfS geführt worden. Zu keiner Zeit habe er sich zur Spionage verpflichtet: „Als Mitglied des Bundestages, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und Mitglied des Präsidiums des Goethe-Instituts habe ich nach dem Grundlagenvertrag und dem Kulturabkommen gehandelt. Ich berufe mich auf den Unterschied zwischen einigendem Bemühen und Niedertracht.“

Mitarbeiter des MfS beharren allgemein aber darauf, den Begriff IM nur dann benutzt zu haben, wenn der betroffenen Person der Charakter ihrer Zuarbeit bekannt war. Im Falle einer Abschöpfung sei das Kürzel „KP“ für Kontaktperson verwendet worden. Lattmann war von 1972 bis 1980 Bundestagsabgeordneter und in dieser Eigenschaft zeitweilig kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Von 1975 bis 1985 war Lattmann Präsidiumsmitglied des Goethe-Instituts. Lattmann erklärte, er habe sich bei seiner Vernehmung in Karlsruhe mit einem „entschiedenen Nein“ gegen den Spionageverdacht zur Wehr gesetzt. Er habe sich mit einer Verlesung aus dem Manuskript seines neuen Romans „Jonas vor Potsdam“ verteidigt. Nach seinen Worten hat er dabei begründet, „daß meine Motive und Handlungen andere waren, als Zuträger aus dem Morast des DDR-Geheimdienstes sie heute ausgeben“.

Aufgrund einer Akte, in der der Name IM „Letter“ stand, hatte die Bundesanwaltschaft vor längerer Zeit ein Ermittlungsverfahren zunächst gegen Unbekannt eingeleitet. Nach Angaben Hannichs gelang es erst später, den Decknamen Dieter Lattmann zuzuordnen. Nach Informationen von Lattmanns Rechtsanwalt war die Akte von einem ehemaligen DDR- Hochschullehrer offenbar nach Gesprächen mit dem Schriftsteller angelegt worden.

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