Sechs Minuten Ritualwäsche

■ Mehr Körper, Duft, Musik den PatientInnen: Pflege-Tagung an der Uni

„Früher war's doch so: Eine machte naß, die andere trocken. Der Patient lag da in seinem flachen Bett wie auf der Schlachtbank und bekam nachts seine sechs Minuten Ritualwäsche.“ So hat's Krankenschwester Elke Müller einst gelernt. Heute fordert sie, daß auch PatientInnen sich wohlfühlen dürfen. Wer nicht gerade beide Arme gebrochen habe, würde sich doch viel lieber selbst waschen. Solche „menschennahen“ Umgangsformen will Elke Müller in die Pflegeausbildung bringen. Die Krankenpflegelehrerin begleitet zusammen mit Mechthild Schöller-Stindt forschend den neuen Studiengang Pflegewissenschaft an der Bremer Uni. Dort wird seit gestern getagt und die „Zukunft der Pflege“ diskutiert.

Die Pflegewissenschaft in Bremer bildet Pflege-LehrerInnen aus und ebnet über Staatsexamen oder Promotion Pflegenden den Weg in eine wissenschaftliche Karriere. Da hinke man in Deutschland sowohl den Staaten wie auch anderen europäischen Ländern (England, Frankreich, die Niederlande) hinterher, sagt Elke Müller. „Wir wollen endlich einen bislang gewerblichen Beruf akademisieren.“ Die Pflege müsse in der Medizin beraten können, sie sei im Pflegeversicherungsgesetz überhaupt nicht berücksichtigt worden. „Betriebsfremd“, nennt Elke Müller das Gesetz. Nach den Bedürfnissen der PatientInnen frage hier doch keiner.

Auch der 70-jährige wundgelegene Diabetiker habe Gefühle. Sexuelle Gefühle, Verlustgefühle, Ekel und Abneigung, aber vielleicht auch den Wunsch, sich bald wieder selbst versorgen zu können. „Er muß danach gefragt werden“, sagt Elke Müller. In ihrem Workshop „Körperkonzepte in der Pflege“ leitet sie heute die Pflegenden zu einem „aktiven Dialog“ an. Niemand solle mehr ungefragt den Waschlappen ins Gesicht („einer der sensibelsten Körperteile!“) geklatscht bekommen.

Und die 30-jährige Frau, der die Gebärmutter entfernt wurde, soll genauso erzählen können, was sie empfindet, soll ihre Vergangenheit und ihre Zukunftsperspektive artikulieren können. „Die Pflege muß auch lernen, zwischen den Patienten zu unterscheiden – sie ist zu technisch geworden und orientiert sich an den Tätigkeiten und nicht an den Menschen“, bemängelt Elke Müller. Warum dürften LebenspartnerInnen nicht auf die Intensivstation („Hygiene hilft da auch nicht weiter“), warum gebe es dort nicht klassische Musik und für Kinder den Geruch von zu Hause?

Aufgeschlossen nimmt das Pflegepersonal inzwischen solche Anregungen an. Die Bremer „Pflegewissenschaften“ sind neben Ost–Berlin und Halle die einzigen in Deutschland und werden aufmerksam beobachtet. Mit der Umsetzung in den Krankenhäusern oder Pflegeheimen klappt es aber noch nicht so gut. „Viele Krankenhäuser blocken da extrem ab“, weiß Elke Müller. Vor allem Baden-Württemberg sperre sich, Hessen liege vornedran. In Bremen befinde man sich so im oberen Drittel, dank der Initiativen im Zentralkrankenhaus Ost.

Das größte Problem ist nach wie vor, daß in den Pflegeberufen die Arbeitgeber gleichzeitig die Ausbilder sind. Die Psychologin Mechthild Schöller-Stindt will die Pflegeausbildung auslagern aus der gemeinnützigen Trägerschaft: „Wir müssen raus aus dem altruistischen, frauentypischen Pflegeklischee: Pflegen kann ja jede.“

Mechthild Schöller-Stindt arbeitet als Supervisorin in der Pflege, und weiß, daß auch Pflegende Menschen sind und zum Beispiel Angst haben. Angst davor, eine Patientin an der Brust zu berühren. Angst vor vor dem Thema Tod – auf der Krebsstation, im Altenheim. Die Pflegenden verbieten sich die Beschäftigung mit der eigenen Angst und der der PatientInnen: „Ich darf dem Patienten nicht sagen, daß er stirbt. Außerdem habe ich selbst Angst davor, es ihm zu sagen.“

Doch die Psychologin Schöller-Stindt sagt, daß Pflegende und Patienten gemeinsam lernen sollen, daß sie ,schlechte Gefühle' nicht unterdrücken müssen. „Es ist viel besser, wenn sie sich diese eingestehen.“ Sie fordert Teamberatung und Supervision in allen Krankenhäusern; soetwas gibt es dort bislang kaum.

sip