Ein Land driftet auseinander

Heute eröffnet Mandela die neue Sitzungsperiode des südafrikanischen Parlaments – in einer Zeit wachsender Unzufriedenheit  ■ Aus Johannesburg Willi Germund

Der Mann in hellblauem Hemd und grauer Hose läßt drohend die Peitsche knallen. Gesinnungsgenossen mit fettigen Haarsträhnen schwingen Äxte durch die Luft. Knurrend zerrt ein Rottweiler an seiner Kette. Ein Bild wie aus alten Tagen im beschaulichen Stadtteil Epping von Kapstadt: Auf der einen Seite knüppelschwingende Weiße, jenseits des Schulzauns von Ruyterwacht Schwarze, die tanzen und singen. „Wir wollen die Kaffer nicht hier!“ brüllt jemand. Pieter Labuschagne, ein Schwergewicht mit Vollbart und leichter Alkoholfahne, schimpft: „Das sind Tiere! Der Platz sieht aus wie ein Schweinestall!“

Gemeint sind 3.700 schwarze Kinder und Jugendliche, für die es keinen Platz an den überfüllten Schulen in dem wenige Kilometer entfernten Elendsviertel Kayelitsha gibt. „Viele können keine Arbeit finden und folgen nun dem Rat von Nelson Mandela, sich eine Erziehung zu besorgen. Sie wollen nur lernen“, sagt Lehrer Sandile Kakaza, der die Schwarzen begleitet, die gerne Schüler wären. Doch erst einmal ist mit Lernen nichts. Steine fliegen, im Gewühl wird ein schwarzer Junge mit einem Messer verletzt. Er stirbt später im Krankenhaus. „Ich bin kein Rassist“, sagt Krankenhelfer Wentzel Veldtmann, „aber wir wollen diese Schwarzen nicht hier.“

Vor drei Jahren wurde das schmucke Gebäude mit Holzdielen und beiger Fassade für den Schulbetrieb geschlossen – es gab zu wenig weiße Schüler. Aber seit Januar ist die Trennung nach Hautfarben gesetzlich verboten. Eine Einheit der Streitkräfte, die zwischenzeitlich in Ruyterwacht untergebracht worden war, zog aus, um Platz für den Schülerandrang zu machen. 800, vielleicht 1.000 Kinder werden von insgesamt 75 Lehrern in Ruyterwacht unterrichtet. Die anderen 2.500 sollen registriert und dann auf andere Schulen verteilt werden.

Das zumindest ist der Plan, denn erst einmal muß Ruhe einkehren. Aber neun Monate nachdem Südafrikas erster demokratisch gewählter Präsident Nelson Mandela sein Amt übernahm zeigt das Beispiel von Ruyterwacht, daß dem Land noch ein langer Weg bevorsteht.

Die Veränderungen beschränken sich nicht mehr nur auf den Macht- und Flaggenwechsel. Spätestens bei den Kommunalwahlen im Herbst dieses Jahres wird auch den Weißen im hintersten „Platteland“ endgültig dämmern, daß das „Neue Südafrika“ nicht mehr aufzuhalten ist – ein Südafrika, von dem ironischerweise jedoch gerade rührige Aktivisten nicht viel gesehen haben wollen.

„Die neue Regierung ist doch nur eine Fotokopie der alten“, schimpfte zum Beispiel Basil Douglas von der „Civic Association“ in Soweto bei Johannesburg am Mittwoch vor etwa 150 Obdachlosen. Die hatten am Tag zuvor Billighäuser in Lenasia, einem Stadtteil des rund vier Millionen Einwohner zählenden Soweto, besetzt. Jetzt ist die Polizei gegen sie angerückt – auf Anordnung der örtlichen Provinzregierung, deren Ministerpräsident Tokyo Sexwale nach dem Wahlsieg im April lauthals verkündet hatte: „Wir werden pro Jahr 150.000 Wohnungseinheiten bauen.“ Acht Monate später stehen genau 427.

„Sexwale gehört nicht zum Wohnungsbauministerium“, stöhnt dazu Stephen Laufer, Sprecher des Wohnungsbauministeriums, zu dessen Markenzeichen das Rennrad und eine Fliege am Hals gehören. „Wir haben immer gesagt, daß wir acht Monate brauchen, um eine vernünftige Wohnungsbaupolitik zu entwickeln.“ Die Bewilligungen für die Subventionierung von 155.000 Wohnungen seien allerdings schon fertig. Vorläufig scheitert schneller Fortschritt freilich am Widerstand der Bauindustrie, eine Garantieverpflichtung im Billigwohnungsbau zu akzeptieren. Aber auch die Zahlen zeigen, daß es eine schnelle Lösung nicht geben kann. 1,5 bis zwei Millionen „Wohneinheiten“ fehlen in Südafrika. „Wir werden 20 bis 30 Jahre brauchen, um diese Lücke zu schließen“, sagt Laufer.

Bildung, Wohnungsbau – überall besteht eine Kluft zwischen den im Wahlkampf hochgeschraubten Erwartungen und der Wirklichkeit. In dieser Atmosphäre ist es leicht, populistischen Ärger zu schüren. Das tut zur Zeit ausgerechnet Winnie Mandela, Ehefrau des Staatschefs: „Nelson Mandela hat die Versöhnungspolitik gegenüber Weißen zu sehr verinnerlicht“, erklärte sie in einer Rede beim Begräbnis eines schwarzen Polizisten, der von weißen Mitgliedern einer Polizei-Spezialeinheit während eines Protestes erschossen worden war. Winnie Mandela drückte aus, was viele Schwarzen am Kurs Nelsons kritisieren, was sie als stellvertretende Ministerin für Kultur, Wissenschaft und Technologie aber nicht sagen darf: Nach einem Ultimatum des von ihr getrennt lebenden Ehemannes brauchte sie zwei Versuche, um sich in aller Öffentlichkeit zu entschuldigen. Gleichzeitig wurden wieder einmal Korruptionsvorwürfe gegen Winnie laut – zu einer Zeit, in der die als „Saubermann“ angetretene Regierung Mandela ohnehin von der Affäre um Allan Boesak gebeutelt wurde. Der ehemalige Prediger und wortgewaltige Redner soll Hilfsgelder aus Europa veruntreut haben und muß nun auf den Posten als UNO-Botschafter in Genf verzichten.

In der Vergangenheit konnte Nelson Mandela Kritik dank seines Charismas abblocken. Doch diese Beruhigungstherapie droht sich abzunutzen. Tim du Plessis, stellvertretender Chefredakteur der afrikaanssprachigen Tageszeitung Beeld, bringt es auf den Punkt: „Mandela überzeugt mit seiner Autorität, und jeder fühlt sich besser, wenn er geredet hat. Aber später merken die Leute dann doch, daß sich nichts geändert hat.“