Biografische Gurgelmasse

■ Die Memory Arena auf Kampnagel – ein netter Flaneur-Staat

Freunde von Bahnhofshallen werden ihre Freude haben. Endlich einmal eine Theaterarbeit, bei der man rumstehen, gammeln, glotzen und biertrinken kann. Zwischen drei Hallen von Kampnagel läßt es sich über einen künstlichen Boulevard schlendern, dessen erklärter Sinn zwar recht beliebig bleibt, der aber zum Treffpunkt in interessanter Umgebung geradezu einlädt.

In der Empfangshalle, in deren Mitte ein großer Archivkäfig steht, wird der Besucher ganz bürokratisch in die Möglichkeiten der Installation eingewiesen: Akten ausleihen, sich selber eine Akte anlegen, die Akten aus dem Käfig vorlesen, in denen sich nach Stichworten sortiert Kurzbiografien aus dem Who's Who von 1993 befinden. Eine große Tafel zeigt an, wer wann was in der Memory Arena (die sich in der zweiten Halle befindet) zu lesen hat.

Hier sitzen die freiwilligen Leser an Schultischen und lesen unverstärkt die Texte vor, so daß man sie nur verstehen kann, wenn man direkt vor sie tritt. Auf einer Leinwand ruckeln Auszüge der gerade vorgetragenen Akten fürs Auge schmerzhaft vorüber, ab und an wird die dahinter liegende Bühne beleuchtet und ein Orchester spielt schönen Monoton-Jazz. Außerdem gibt es ein Café, das mit zunehmender Dauer des vierstündigen Spektakels zum Hauptanziehungspunkt der Installation wird. Eine freundliche Dame verlautet im Supermarkt-Durchsage-System, welcher Leser sich „unverzüglich“ bei der Hallenaufsicht zu melden hat, aber auch, daß der PKW mit dem Kennzeichen HH-RE-1336 den Ausgang versperrt. Zwei Ausstellungen und vor allem die Gäste selbst vervollständigen den kleinen Flaneur-Staat.

Arnold Dreyblatts Konzeption bleibt trotz der kommunikativen Komponente seines Environments inhaltlich blaß. Ob nun Biografien von Menschen, Bastelanleitungen für Überraschungseier-Gimmicks oder ein Deutsch-Hebräisch Lexikon vorgetragen wird, bleibt in dieser Darreichungsform relativ egal. Denn die distanzierte Unverbindlichkeit der Aktion führt weder zur emotionalen oder historischen Aufladung von individuellen Schicksalen noch zu einer scharfen Kritik an Bürokratie und Vermassung. Vielmehr wird hier ein recht oberflächliches Spiel mit der Angst vor Verwaltung und Fremdbestimmung geführt, und der Anreiz zum Erinnern zerfließt in biografischer Gurgelmasse. Durch die Verweigerung jeglicher ernsthafter Konfrontation mit Geschichte und Menschen entsteht dann eben jenes flüchtige Assoziieren, das man an zugigen Kaffeetresen in Hauptbahnhöfen genießt.

Till Briegleb

Noch heute, 19.30-23.30 Uhr