Eine Frau geht, so weit sie kann

Die Karlsruher Anwaltsgehilfin Regina Halmich will mit Hilfe des Universum-Stalls in Las Vegas in der mutmaßlichen Marktlücke Frauenboxen erste deutsche Profi-Weltmeisterin werden  ■ Von Peter Unfried

Karlsruhe (taz) – Draußen im Karlsruher Arbeiterviertel Daxlanden sitzt unter der Erde in seinem kleinen Büro ein Mann und zeigt Macherqualitäten. „Das läuft hier schon wie bei Kohl“, sagt er und weist auf das ratternde Faxgerät auf seinem Schreibtisch. Na ja, schränkt der Manager im Karateanzug mit weltmännischer Handbewegung ein: „Kohl ist noch besser als ich.“ Die Rede ist von dem Hamburger Imbißbudenketten- Besitzer und Boxpromoter Klaus- Peter Kohl, und die Betonung liegt auf „noch“.

Keine Frage: Jürgen Lutz (36), Leiter der einem Fitneßstudio angegliederten Kampfsportschule „The House of Champions“, wähnt sich auf dem Weg nach oben. Der Grund für seine Zuversicht ist 18, eher zierlich geraten, heißt Regina Halmich und ist auf dem geraden Weg zur Boxweltmeisterin. Seit sie im November in Karlsruhe die Engländerin Cheryll Robertson geschlagen hat, ist sie Europameisterin und von medialem Interesse. „Wir haben“, sagt der managende Trainer, „viele Nachfragen für Werbung.“ Aber, winkt er ab, „ich denke mir: Warte auf den Welttitel, dann haben wir noch viel bessere Chancen.“

Tatsächlich erscheint die Zukunft den beiden rosig: Am 20. April soll Regina Halmich in Las Vegas, im Hotel-Casino „Aladdin“, um den erstmals zu vergebenden WM-Titel im Fliegengewicht boxen. Die Gegnerin müssen die Engländerin Diane Berry und die Mexikanerin Becky Rodriguez noch ausboxen. Jimmy Finn, Vizepräsident und Generalmanager der Women's International Boxing Federation, Inc. (WIBF) hat die blonde Frau den EM-Titel gewinnen sehen und war begeistert. Solche Frauen, richtig gute Boxerinnen nämlich, sucht er dringend, um den Verband, der ein Unternehmen ist, auf eine qualitativ solide Basis zu stellen und auf ökonomische Touren zu bringen. „Die Zukunft des Boxens liegt in den Händen der Frauen“, hat Finn jüngst prophezeit, und wenn sich das bewahrheiten sollte, würde der frühere 800-Meter-Läufer reich und andere womöglich auch.

Dem Kampfsporttrainer Lutz etwa hat man die Generalvertretung für Deutschland übertragen. Aber noch ist das Geschäft keins. „Hast du nicht noch eine Kämpferin in Deutschland?“ pflegt Finn beim Gebietsleiter anzufragen. Aber das, sagt Lutz, der die Szene, auch die des verwandten Kickboxens, seit Jahren beobachtet, „geht nicht so schnell“. Neulich hat er 25 Frauen nach Karlsruhe zum Vorboxen bestellt, doch von denen ist keine annähernd so weit wie seine beste Schülerin.

Jeden Abend verläßt Regina Halmich um fünf die Kanzlei, in der sie eine Lehre als Anwaltsgehilfin macht, um noch drei Stunden im „House of Champions“ zu trainieren. Im provisorischen Ring hält Trainer Lutz die Pratzen hin. Und dann werden die vormals harmlos-lieben Gesichtszüge des Mädchens plötzlich hart. Finster und entschlossen stößt sie ihre Lautmalereien aus, die jeden der vielen Schläge begleiten.

„Ich bin kein Konterboxer wie Maske“, sagt Regina Halmich, „ich muß angreifen.“ (Vergleiche untenstehendes Interview.) So hat sie es gegen Robertson gemacht, so will sie es weiter halten. Im Kickboxen war sie Profi-Europameisterin, hat dort über 20 Profikämpfe bestritten und bis auf zwei gewonnen. In ihren bisherigen sechs Boxkämpfen hat sie stets gesiegt. Ihrem Trainer fällt, wenn er sie beschreiben muß, schnell das Wort „aggressiv “ ein. „Killerinstinkt ist zu hart gesagt“, glaubt sie, „aber man geht, so weit man kann.“

Im Mai schließt sie ihre Lehre ab („da lern' ich jetzt schon wie verrückt“), danach will sie richtiger Profi sein. Nachdem selbst der Branchenführer Don King neuerdings eine Boxerin managt, hat auch Universum-Promoter Kohl Interesse signalisiert. Seit gestern trainiert Halmich für drei Tage in Hamburg, dabei will man auch Vertragsgespräche führen. Eine Frau im Universum-Boxstall? „Das ist ja schon länger im Gespräch“, sagt Universum-Manager Peter Hanraths (49). Ob die Marktlücke allerdings tatsächlich groß genug ist, ihre Protagonisten zu ernähren, muß sich erst erweisen. „Langfristig sage ich ja“, meint Hanraths. Ob man ins Geschäft kommt, wird auch von den Sparringseindrücken abhängen.

In West-Hollywood, Florida, sitzen jedenfalls Jimmy Finn und seine WIBF-Präsidentin Barbara Buttrick (64) in ihrer Suite und kurbeln mächtig. „Little Barbara“, die in den Fünfzigern zu den boxenden Pionierinnen gehörte, hat als großen Durchbruch den Kampfabend in Las Vegas auserkoren, bei dem in fünf der elf Gewichtsklassen erstmals um den Welttitel geboxt werden soll.

„Zweimal je eine halbe Stunde“ hat der Deutschland-Vertreter Lutz jüngst mit West-Hollywood telefoniert, um die Organisation auf die Reihe zu bekommen, die noch längst nicht in allen der 54 Mitgliedsländer „optimale Repräsentationen“ (Lutz) aufzuweisen hat. Bei Lutz klappt alles, der hat auch bereits einen zweiten WM- Kampf für seine Kämpferin organisiert. Austragungsort ist Karlsruhe, geboxt wird dann im Superfliegengewicht (bis 50,8 Kilogramm), einer Gewichtsklasse, die dem Körper von Regina Halmich, die „wehleidig ist und nicht gern hungert“, besser entspricht als die 48-Kilo-Llasse und in der sie auf Platz eins der Weltrankings geführt wird.

Längst haben sie die Frauenmagazine als postmoderne Jeanne d'Arc entdeckt und aufbereitet. Wenn sie unschuldig fragt, warum „Frauen nicht boxen sollen“, erklärt frau sie zur femme nouveau, der Frau fürs nächste Jahrtausend, die sich nimmt, was sie haben will. Zwar findet sie solche Deutungsversuche „gar nicht schlecht“, doch gehen in Wahrheit ihre Motive vermutlich kaum über die Seile des Rings hinaus. Anders als die medienversierte Tübinger Boxamateurin Ulrike Heitmüller (27), die es binnen eines Jahres zur Talkshowveteranin brachte, kann Linksauslegerin Regina Halmich zwar keine bestechende Hypotaxe, dafür aber einen kräftigen Aufwärtshaken bieten. „Die Heitmüller“, die Boxerin und Trainer durch Medienpräsenz nervt, sagt Jürgen Lutz und winkt ab, „würde gegen Reggie keine 30 Sekunden im Ring stehen.“ Am 4. März wird die in Wien gegen die Portugiesin Moreira noch einen Aufbaukampf bestreiten – Lutz nennt es „Weltranglistenkampf“ – dann geht es zur „großen Sache“ (Lutz) nach Las Vegas.

In seinem Kabuff zeigt Jürgen Lutz auf sein Lieblingsfoto an der Wand, daß ihn mit dem Action- Schauspieler Jean-Claude van Damme zeigt. Arm in Arm, in Grinspose. „Der Markt ist voll da“, sagt er. Erzählt, daß sein Produkt seit dem EM-Kampf „26mal im Fernsehen“ war. Beschäftigt sich mit der Frage, ob die ARD die Rechte am WM-Kampf vom amerikanischen Fernsehen bekommen wird. Und denkt bereits an einen Tag im Mai, an dem Regina Halmich zweifache Weltmeisterin sein wird.

„Einer geht wieder weg“, sagt er erfahren, „das weiß ich schon lange.“ Genau wie bei Manager Kohl wird das sein, der jüngst zu entscheiden hatte, welchen seiner beiden WM-Gürtel Dariusz Michalzcewski zurückzugeben hatte. Wieder fängt das Faxgerät an zu arbeiten. „Aha“, ruft der Mann befriedigt, „Frankreich meldet sich.“ Dann kriegt Jürgen Lutz einen großen Blick. „Wir wollen“, sagt er und stellt seinen Schnauzer, „den Amerikanern zeigen, wie fit wir sind.“