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Wand und BodenDigital equipment

■ Kunst in Berlin jetzt: van der Voort, Tekkno, Dlugos, McCarthy

Irgendwie bin ich mir sicher, daß es einen Unterschied macht, ob man Fotografien von Flurleuchten ohne weitere Worte an der Wand präsentiert, oder ob es sich um Fotografien von in Formalin eingelegten Menschen handelt, wie sie ImKabinett zu bestaunen sind. Annet van der Voort hat die in Gläsern steckenden Köpfe von erwachsenen Menschen fotografiert, ebenso wie in Gläsern aufbewahrte Babys. Sie sind keine Monstren, nur eines der Kinder, im 18. Jahrhundert eingelegt, trägt um Hand-, Knie- und Fußgelenke sowie um den Hals bunten Perlenschmuck. Auf drei weiteren pastellfarbenen Porträts erkennt man von einem burnusartigen Hut oder einem zarten Schleier umrahmte Kindergesichter. Über die Arbeit erfährt der Besucher nichts, die Angaben zu den Bildern beschränken sich auf die Zeit, in der die Objekte eingelegt wurden, auf den Ort und den Zeitpunkt der Aufnahme. Aber nicht jede anatomische Sammlung gleicht der anderen, und warum die papierweißen Erwachsenen in Gläsern stecken ist noch unklarer als warum man in Leiden/Holland grünliche Indios aufbewahrte und zeigte. Soll die Sache deshalb interessieren, weil abgeschrammte Puppenköpfe mit eingelegten Menschenköpfen in Verbindung gebracht werden?

Bis 9.3., Di-Fr 14-19, Sa 11-19 Uhr, Schönhauser Allee 8

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Von den Konservierungstechniken des 18. zur Biotechnik des 21. Jahrhunderts: Mehr als einem vielleicht lieb ist, kann man darüber in der Ausstellung „When Tekkno Turns To Sound of Poetry“ erfahren. Nach Zürich (vgl. taz vom 26.7.1994) ist das feministische Kunst-/Forschungs-Projekt jetzt in den Kunst-Werken wiedererstanden. Die Künstlerinnen haben das ganze Haus in Beschlag genommen, und angesichts der Fülle von Objekten, Text- und Bildbibliotheken, von andeutungsweise interaktiven TV-Sets und unterschiedlichsten Installationen ist es mit einem einmaligen Besuch nicht getan. Da der Aufbau der Ausstellung aber einladend sympathisch ist, kann man dort gerne ganze Tage im digital equipment hängend verbringen. Es geht nicht nur um Biotechnik und Medizinindustrie, doch das Human Genom Project besetzt eine zentrale Stelle des Tekkno- Diskurses. Er ist nicht immer tiefschürfend, aber hinreichend unwahrscheinlich, um zutreffend zu sein. Eppendorfmania/ Name Diffusion ist eine Regalinstallation, vollgestopft mit Testplatten voller kleiner Reaktionsgefäße und einem Diaprojektor, der abgekürzte Fachbezeichnungen kranker Menschen an die Wand wirft. MLT, BBB, MMS und PVV bezeichnen etwa den Typus „muskulös, langhaarig, tätowiert“, „bisexual black booklover, „muslim metropolitan smoker“ und „puertorican vegetarian voyeur“. In Zeiten, in denen man nicht mehr sterben darf, ohne daß einem gleich ein Vorwurf daraus gemacht wird, falsch gegessen, falsch gesessen etc., scheint mir das die Meditation schlechthin für das 21. Jahrhundert zu sein. Danach gibt einem ein Interview von Gesa Ufer/ Lise Nellemann mit einem Anlageberater bezüglich Finanzspekulationen im Bereich der Biotechnik den erhellenden Rest. Der Informationsvorsprung läßt sich am Videotisch weiter ausbauen. Ein Filmarchiv mit Titeln wie „Genfrisch auf den Tisch“ oder „Ich pflege tote Patienten“ wartet auf den wißbegierigen Besucher. Das sollte doch neugierig machen.

Bis 12.3., Di-So 14-18 Uhr, Auguststraße 69

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In der Likörfabrik der Kunst- Werke könnte man sich, so scheint es zunächst, bei wunderschönen Bildern erholen. Nur – die Wette gilt – es gelingt einem nicht. „Aus fremden Gärten“, die aktuellen Fotoarbeiten von Caroline Dlugos, sind Phantasmagorien der CAD-Dimension; wahrhaft zauberhafte Landschaften, deren blaue Blume der Romantik die der Mathematik ist. Algorithmen nährten ihr polygones Wachstum, das Programm „Wind“ verwischte sie unscharf in der „Bewegung“. Was als farbenfrohe Landschaftsfotografie erscheint, ist keine, sondern ein fotorealistisch-hybrides System, aus realer Fotografie, Computerdesign- und Bildgenerierungsprogramm: post-konzeptuelle Malerei. Ein vorangegangener Zyklus von Landschaftsaufnahmen, der ihr Bild und nicht ihre Natur meinte, ist die Grundlage der Arbeit. Dlugos Gratwanderung zwischen dem Idealen und dem Monströsen liegt auf dieser Bild-Ebene, die digitale Vervielfachung und Ersetzung realer wie das Hinzufügen erfundener Strukturen, führt zu Mondscheinbildern à la Schinkel, Van Goghschen Sonnenblumenfeldern, zu Caspar David Friedrichs einsamem Baum und sozialistischer Traktorkunst. Unheimlich. Nach der Natur.

Bis 26.3., Di-So 15-17.45, heute 14-21 Uhr, Auguststraße 91

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Im Garten von Paul McCarthy waren zwar schon wüstere Gesellen am Werk als die „Tomato Head“-Figur, die jetzt im Künstlerhaus Bethanien aufgebaut ist. Aber der Künstler aus Los Angeles – der in den 70er Jahren mit Otto- Mühl-ähnlichen Performances auffiel – scheint seinen riesigen Tomatenkopf wie einen Bruder im Geiste von Cornelia Schmidt-Bleeks „Mr. Gen-Toffel“ in den Tekkno- Kunst-Werken entworfen zu haben. „Tomato Head“ ist Mann, Frau und Gemüse sowie anal-erotisch der Mohrrübe verbundenes Comic-Monster. Wie ein harmloses Kinderspielzeug steht die Figur im Raum, umgeben von Aufsteckteilen, Penissen, Vulvas, Hämmern und Schaufeln; brauchbar in jeder Form, Kombinatorik ist schließlich das Erfolgsgeheimnis des Genlabors. Am Ende ist sie doch eine der erschreckendsten Züchtungen McCarthys, sieht sie doch so aus, als würde sie uns demnächst als lustiger TV-Moderator in einschlägigen Musik- Video-Shows beehren.

Bis 5.3., tägl. außer Mo. 14-19 Uhr, Mariannenplatz 2 Brigitte Werneburg

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